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Archiv-Artikel

Debatte: EU-Strukturpolitik und Nordrhein-Westfalen Keine Konsolidierung in der Krise

Die neoliberale Sparpolitik schadet der Europäischen Union – und NRW: Das Land wird den Wegfall der EU-Strukturförderung in keinem Fall ausgleichen können

Jede Erweiterungs- und Vertiefungsrunde der EU wurde bislang von einer substantiellen Erhöhung der EU-Regionalfonds begleitet, weil – mit Ausnahme von Schweden und Finnland – zunehmend ärmere Staaten Mitglieder wurden. Dieser teilweise erfolgreiche Ansatz, zu erkennen am langen Aufschwung Irlands, Portugals und Spaniens, soll nun zugunsten einer verschärften neoliberalen Sparpolitik auch auf der EU-Ebene verlassen werden – obwohl zum 1. Mai 2004 weitaus ärmere Mitglieder beitreten. Der EU-Haushalt soll nach dem Willen der Bundesregierung und einiger anderer ‚Nettozahler‘ relativ sogar sinken: Von 1,27 Prozent des EU-Brutto-Inlandprodukts nach der bisher schon deutlich unterschrittenen EU-Agenda 2000 auf rund 1,0 Prozent für 2007 bis 2013.

Die Konsequenz: Die Regionalmittel würden hauptsächlich auf die neuen Mitglieder konzentriert. Viele der bisherigen EU-Krisenregionen, etwa Teile Nordrhein-Westfalens wie das Ruhrgebiet, aber auch die neuen Bundesländer, würden in Zukunft nur noch marginal oder deutlich geringer gefördert, obwohl sich ihre Lage nicht oder kaum verbessert hat. Ohne die bisherige EU-Hilfe wäre die aber weitaus schlechter, da ein Großteil der Investitionen in die Modernisierung der wirtschaftsnahen Infrastruktur aus Ziel-2-Mitteln der EU mit finanziert wird.

Es wird sich zeigen, dass dieser vermeintliche Sparkurs speziell die Bundesrepublik, die ihr Hauptmotor ist, aber auch die EU insgesamt schädigt. Vermeintlich deshalb, weil der Versuch der Haushaltskonsolidierung in der Krise die Defizite in Wahrheit hochschnellen lässt – in Deutschland und der Eurozone insgesamt. Dies haben Finanzminister Eichel und auch das Land Nordrhein-Westfalen wiederholt schmerzlich erfahren müssen. Allein 2003 fiel das Bundesdefizit um knapp 20 Milliarden Euro höher aus als ‚geplant‘. Auch das Defizit des Landes ‚explodierte‘. Daneben nimmt sich die Verringerung des deutschen EU-Nettobeitrag pro Jahr um ca. zwei auf derzeit ca. fünf Milliarden Euro in 2002 vergleichsweise bescheiden aus.

Es droht also das weitgehende Aus für die Regionalförderung in NRW ab 2007. Beispiele für die Verwendung der EU-Mittel, in der Finanzperiode von 2000 bis 2006 rund 140 Millionen Euro pro Jahr für alle Fördergebiete in NRW: das neue Biomedizinische Technologiezentrum und die Mikrostruktur-Factory in Dortmund, aber auch die Förderung von Gründungsoffensiven, Gewerbegebieten und Qualifikationsmaßnahmen nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in anderen strukturschwachen Landesteilen wie dem Kreis Heinsberg, dem münsterländischen Ahlen oder der ostwestfälischen Region rund um Höxter – detailliert nachzulesen unter www.ziel2-nrw.de. Dies auch nur teilweise aus eigener Kraft zu finanzieren ist bei der dramatischen Finanzkrise der Kommunen und des Landes eine Illusion.

Der Bundeskanzler, unterstützt durch Ministerpräsident Peer Steinbrück, will verstärkt sparen und nebenbei Spanien – mit rund 8,8 Milliarden Euro in 2002 derzeit größter Netto-Empfänger – und Polen, dem in Zukunft größten Nettoempfänger unter den neuen Mitgliedsländern, ihre Unbotmäßigkeit auf dem Rom-Gipfel ‚heimzahlen‘, indem er den EU-Haushalt für 2007 bis 2013 stark deckelt. Eine derartige finanzpolitische Retourkutsche wird die Bundesrepublik aber selbst und damit auch Nordrhein-Westfalen mit am härtesten treffen. Denn die Krisenregionen haben dann eine noch geringere Chance, ihre Probleme zu lindern.

HERMANN BÖMER