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Archiv-Artikel

Debatte: Brief eines Arbeitslosen an die Nürnberger „Bundesagentur für Arbeit“ (BA) Sehr geehrter Herr Gerster!

Diesen Brief eines Arbeitslosen hat der mittlerweile entlassene BA-Chef nie beantwortet. Vielleicht schreibt ja Gersters Nachfolger

Nun habe ich schon mindestens dreimal – im Abstand von mehreren Tagen – vergeblich versucht, unter Ihrer neuen Internet-Domain „arbeitsagentur.de“ ein Stellengesuch aufzugeben. Regelmäßig musste ich die Versuche wegen der Fehlermeldung Ihres Servers abbrechen. Da ich selbst bis vor einem Jahr als Softwareentwickler tätig war und in dieser Eigenschaft Datenbankanwendungen – übrigens ebenfalls für Behörden – entwickelt habe, muss ich mich doch über die offensichtliche Unausgereiftheit ihrer Internetpräsenz wundern und kann Sie deshalb nur eindringlich bitten, das alte Stelleninformationssystem SIS und die Domain „arbeitsamt.de“ nicht zu den vorgesehenen Terminen abzuschalten – denn die laufen einigermaßen korrekt.

Sie haben Ihren Vorgänger als BA-Chef, Herrn Bernhard Jagoda, mit dem Anspruch abgelöst, für mehr Effizienz in der Bundesanstalt und für eine bessere Orientierung an den Kunden zu sorgen. Zu letzterem gehört sicher auch der Slogan „Fordern und fordern“ – nein, ich habe mich hier nicht verschrieben, der Druckfehler befindet sich ganz offensichtlich auf Seite 50 der Verdummungsbroschüre der Bundesregierung: „Agenda 2010 – Deutschland bewegt sich“.

Binnen eines Jahres habe ich folgende Aktivitäten meines Arbeitsamts Gelsenkirchen-Buer registriert:

1. Kurzaufnahme meiner Arbeitslosmeldung am Schnellschalter am 2. Januar 2003 (Dauer: etwa fünf Minuten).

2. Persönlicher Gesprächstermin Mitte Januar 2003 (Dauer: rund 15 Minuten).

3. Einladung zu drei Massenveranstaltungen mit je etwa 20 bis 30 Teilnehmern zum alleinigen Zwecke der Kontrolle meiner Aktivitäten (Dauer: jeweils weniger als 20 Minuten).

4. Einige persönliche Rückmeldungen meinerseits am Schnellschalter (Dauer: etwa zwei bis drei Minuten).

5. Automatische Weiterleitung einer Anfrage auf mein Stellengesuch im AIS.

6. Beantragung eines Vermittlungsgutscheins meinerseits.

Das waren wirklich alle Aktivitäten meines Arbeitsamts in Gelsenkirchen-Buer. Da wurde nichts gefördert, sondern nur gefordert. Den Vermittlungsgutschein konnte und kann ich nicht einfach einlösen, weil auch die privaten Arbeitsvermittler aufgrund des mittlerweile völlig aus den Fugen geratenen Arbeitsmarkts keinerlei Interesse haben, weitere Arbeitslose in ihre Karteien aufzunehmen.

Ich bin ausgebildeter IT-Systemkaufmann und habe seit dem Bekanntwerden meines Arbeitsplatzverlustes bundesweit mehr als 70 Bewerbungen auf Angebote, zu denen mein Bewerberprofil gut passte, versandt – ohne jede positive Resonanz. Zu einem Vorstellungsgespräch bin ich nie eingeladen worden. Ich hätte die Bewerbungsunterlagen im Grunde auch gleich an mich selbst adressieren können.

Sie und die Bundesregierung haben ganz offensichtlich das Hauptproblem der Arbeitslosigkeit nicht erkannt: Bei höchstens 300.000 offenen Stellen undselbst offiziell mehr als vier Millionen Arbeitslosen müssten auch Sie zu der Erkenntnis gelangen, daß das Problem nicht in der Stellenvermittlung, sondern im mangelnden Angebot an Arbeit zu suchen ist. Wie kann ich da erwarten, daß Sie und die Bundesregierung das tatsächliche Problem des mangelnden Wirtschaftswachstums und der mangelhaften Verteilung der vorhandenen Arbeit angehen? Von Bundeskanzler Gerhard Schröder höre ich nur Stammtischparolen – und Sie Herr Gerster erhöhen lediglich den finanziellen Druck auf die Arbeitslosen mit der Folge, dass Fachkräfte weniger Qualifizierten die Hilsarbeiterjobs wegnehmen.

Ich persönlich bekäme nicht einmal als so genannte „Ich AG“ Unterstützung: Wegen des durchschnittlichen Gehalts meiner Lebensgefährtin – nicht Ehefrau! – gehöre ich nicht zur förderfähigen Personengruppe. Ich hätte jetzt sogar eine gute Geschäftsidee. Aber glauben Sie allen Ernstes, auch nur eine Bank wäre bereit, mir bei nur 10.000 Euro Eigenkapital etwas zu finanzieren?

Abschließend möchte ich Ihnen anbieten, für mich als privater Stellenvermittler tätig zu werden, denn offensichtlich benötigt die Firma, die Sie mit der neuen Internetpräsenz „arbeitsagentur.de“ beauftragt haben, noch fähige Programmierer. Hierzu übersende ich Ihnen gern einen Vermittlungsgutschein.

Mit freundlichen Grüßen,

THOMAS MÄURER