Debatte Börsencrash: Hört auf die Spekulanten!
Die Finanzakteure haben längst begriffen, dass die Sparpolitik in die Katastrophe führt. Doch die Politik bleibt stur und verschärft die Krise damit nur zusätzlich.
U nd wieder kollabieren die Börsen. Seit Ende Juli sind die Aktienkurse in drei Schüben um etwa 25 % gesunken. Alle drei Abstürze wurden durch folgende Ankündigung ausgelöst: Jetzt wird noch mehr gespart.
Absturz I. : Der Schuldenkompromiss im US-Kongress am 1. August legte fest: Über 10 Jahre hinweg sollen die Staatsausgaben gekürzt werden. Absturz II: Merkel und Sarkozy fordern am 16. August, dass für alle Euro-Länder Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild festgeschrieben werden. III. Griechenland kann die Budgetziele nicht erreichen, da die Wirtschaft wegen der Sparpolitik stark schrumpft (1. September).
Die Schuldner sind nicht schuld
ist Wirtschaftsforscher in Wien. Sein Schwerpunkt sind Finanzmärkte und ihre Folgen für die Realwirtschaft. Zuletzt veröffentlichte er "Mitten in der großen Krise. Ein ,New Deal' für Europa." (Picus Verlag 2010).
Die Finanzinvestoren signalisieren der Politik: Bitte nicht "more oft the same", eine permanente Sparpolitik wird die Lage verschlimmern! Und rettet Griechenland! Doch die Politik antwortet: Es muss noch härter gespart werden, damit "wir" uns das Wohlwollen "der Märkte" verdienen (dass "die Märkte" als Subjekt begriffen werden, ist Teil der neoliberalen Umnachtung; dass ihnen das Primat über die Politik zugestanden wird, ebenso). Kaum hat die Spekulation im Sommer Spanien, Italien und Frankreich ins Visier genommen, gab's drei neue Sparpakete.
Die Sparpolitik stellt eine Symptomkur dar. Sie impliziert, dass der Schuldner schuld sei und es selbst in der Hand habe, durch strenge Diät zu gesunden. Tatsächlich aber entwickeln sich Einnahmen und Ausgaben des Staates in Wechselwirkung mit jenen der anderen Sektoren. Sinken also die Ausgaben von Unternehmen, werden die Haushalte wie in der akuten Finanzkrise gekürzt, so erleidet der Staat ein höheres Defizit. Genau dies war die Folge der Sparpolitik von Reichskanzler Brüning 1931.
Auch die damalige Weltwirtschaftskrise basierte auf diesem "Sparparadox". Das hatte man in den 70er Jahren auch allgemein begriffen - doch nach 30 Jahren neoliberaler Marktreligiosität haben die ökonomischen Geistesgrößen diese Erkenntnis wieder vergessen: Sie sind daher nicht in der Lage, die katastrophale Lage in Griechenland als Folge der Sparpolitik zu sehen.
Die Krise ist allerdings nicht nur eine Griechenlands, sondern stellt die Implosion der gesamten finanzkapitalistisch-neoliberalen "Spielanlage" der letzten 30 Jahre dar. Nach dem "Vorbeben" durch den Aktiencrash 2001/2003 setzte mit der Lehman-Pleite die "Schockphase" ein: Konjunktur- und Bankenpakete verhinderten das Schlimmste, doch kaum begannen die Aktienkurse wieder zu steigen, verdrängten die Eliten den systemischen Charakter der Krise: Die Finanzakrobaten durften nicht nur weitermachen wie zuvor, sondern weiteten ihre "Spiele" aus und begannen mit der Spekulation gegen souveräne Staaten.
Von wegen böser Sozialstaat
Zwei Sündenböcke erleichtern die Verdrängung des systemischen Krisencharakters: Der allgemeine Sündenbock ist der (Sozial-)Staat; aus der Finanzmarktkrise wurde so eine "Staatsschuldenkrise" (gemacht).
Der spezielle Sündenbock ist Griechenland, ideal, weil ein Staat, der geschummelt hat und dessen Bewohner dunkelhäutig und faul sind. Also konzentriert sich die Debatte - besonders in den volksdümmlichen Medien - auf die "Griechenland-Krise". Dass die Lernschwäche der Eliten in die nächste Krisenphase führen muss, war absehbar und wurde von einigen wenigen Wirtschaftsexperten entsprechend vorausgesagt.
Jetzt ist es so weit: Wie 2008 werden Aktien- und Rohstoffvermögen entwertet, diesmal auch noch die meisten Staatsanleihen, die Nachfrage von Unternehmen und Haushalten sinkt (nicht zuletzt durch Schrumpfen der zweiten und dritten "Säule" der den Börsen anvertrauten Altersvorsorge). Was die Situation noch verschlimmert: Das Pulver der Fiskal- und Geldpolitik ist verschossen. Zudem: Das realkapitalistische China wird den finanzkapitalistischen Westen nicht mehr in gleichem Maß stabilisieren können wie 2009.
Damit beginnt ein spannendes Endspiel zwischen Ökonomen, Finanzakteuren und Politikern. Die meisten Wirtschaftswissenschafter plädieren für eine härtere Sparpolitik, für eine Insolvenz Griechenlands, (damit) einen Austritt aus der Währungsunion und für eine Abwertung der neuen/alten Währung. Sie wiederholen damit die Empfehlungen der 1930er Jahre, wissen das aber nicht und brauchen es auch nicht wissen - die neoliberalen Wahrheiten gelten ja jenseits von Zeit und Raum.
Ackermann hat recht
Die Finanzmärkte reagieren auf Nachrichten, die eine weiter verschärfte Sparpolitik und eine Insolvenz Griechenlands anzeigen, mit massiven Kurseinbrüchen. Versprechen die PolitikerInnen hingegen die Rettung Griechenlands, werden sie mit einem Kursfeuerwerk belohnt. Gleichzeitig weiß die Politik: Eine Fortsetzung des "Bärenmarkts" muss in eine Rezession führen (wie 2001 und 2008).
Sobald die Politik die Signale der Finanzakteure verstanden hat, wird sie sich auf ihre Seite schlagen. Da das dauert, hat Joseph Ackermann kürzlich nachgelegt und Restriktionen für den automatischen Börsehandel gefordert. Man müsse so Herdeneffekte vermeiden.
Der Hintergrund ist: Die Finanzakrobaten sind sich bewusst, wie sehr sie in einem "Gefangenendilemma" stecken. Um die Vermögen zu retten, müssen sie bei "Bärensignalen" aussteigen, indem sie das tun, dezimieren sie als Herde das gesamte Aktienvermögen. Jetzt wollen sie vor sich selbst gerettet werden.
Noch ist die Geschwindigkeit der Krisenausbreitung höher als die Lerngeschwindigkeit der PolitikerInnen (die Wissenschafter sind als Folge ihrer Marktreligiosität bereits hoffnungslos abgehängt). Doch die Nachhilfe der Finanzakteure könnte das Lernen der Politik beschleunigen und so eine Depression vermeiden helfen. Wie das Spiel ausgeht, wird die EZB entscheiden. Ihr Selbsterhaltungstrieb macht zuversichtlich.
Die EZB fürchtet nämlich (zu Recht) unabsehbare Kettenreaktionen im Fall einer Griechenland-Insolvenz. Und mit dem Euro würde sie selbst verschwinden. Gleichzeitig kann eine Zentralbank alles, nämlich Geld aus dem Nichts schaffen, und Notwehr erlaubt alles.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken