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Debatte AfghanistanTaliban sind viele

Kommentar von Thomas Ruttig

Zu Verhandlungen mit den Taliban gibt es keine echte Alternative. Das heißt nicht, dass die ISAF-Truppen stellenden Länder dafür ihre Prinzipien über Bord werfen müssen.

Sie brennen Schulen nieder, schütten Schülerinnen Säure in die Gesichter, schneiden angeblichen Spionen die Kehle durch und töten mehr Zivilisten als die Nato-Truppen. Erst am Mittwoch verübten die Taliban auf ein Gästehaus der UN in Kabul einen Anschlag, dem elf Menschen zum Opfer fielen. Es fällt schwer, die Taliban nicht zu verabscheuen. Und doch ist es notwendig, möglichst nüchtern zu analysieren, wer die Aufständischen in Afghanistan genau sind und was sie wollen. Denn erst eine differenzierte Antwort auf diese Fragen hilft zu entscheiden, was im Einzelnen zu tun ist, um wieder Frieden in Afghanistan herzustellen.

Die Bewegung der Aufständischen in Afghanistan ist heterogen. Sie besteht aus mindestens sieben unterschiedlichen Organisationen, die aus verschiedenen Beweggründen kämpfen und ganz unterschiedlich in der Bevölkerung verankert sind. Die "Islamische Bewegung der Taliban" mit Mullah Mohammed Omar als "Oberhaupt der Gläubigen" an der Spitze ist davon nur die stärkste und am besten aufgebaute Organisation.

Bild: swp

Thomas Ruttig st Ko-Chef des unabhängigen Think-Tanks Afghanistan Analysts Network. Seine Studie "The Other Side" findet sich im Netz unter www.aan-afghanistan.org. Dies ist seine Erwiderung auf den Beitrag von Britta Petersen.

Afghanistans Taliban sind ein Netzwerk von Netzwerken. Ihre Feldkommandeure werden manchmal straff geführt, manchmal lässt man ihnen große Spielräume. Nach außen treten sie zunehmend geschlossen auf. Ihr Logo "Islamisches Emirat Afghanistans" (IEA) prangt auf Flugblättern, Steuerbescheiden, die sie in von ihnen kontrollierten Gebieten verteilen, und auf Briefen an afghanische Politiker.

In Teilen des Landes unterhält diese Guerilla eigene Parallelstrukturen. Ihre Gerichte funktionieren oft effizienter als die der Regierung und fallen nicht nur durch Halsabschneiden auf. Das Prädikat "mafiös" (Britta Petersen in der taz vom 22. 10.) hebt sie nicht wirklich von den Strukturen ab, die im Umfeld Karsais entstanden sind. Deshalb schließen sich ja so viele Afghanen den Taliban an. Gut 80 Prozent der Taliban-Kämpfer agieren in den Gebieten, aus denen sie stammen. Sie hüten sich, auf fremdem Gebiet Gräueltaten zu begehen, weil das Blutrache heraufbeschwören könnte. Dieses Vorgehen sichert ihnen einen gewissen Rückhalt in der lokalen Bevölkerung.

Eine Sonderrolle spielt der frühere Mudschaheddin-Kommandeur Dschallaluddin Hakkani. Sein Netzwerk kooperiert mit der Islamischen Dschihad-Union, bei der die Sauerland-Gruppe trainierte und die skurrile Videos ihres deutsch-marokkanischen Sprechers Bekkay Harrach vertreibt, und könnte hinter dem Überfall auf das UN-Gästehaus in Kabul stehen. Obwohl Hakkani dem Taliban-Führungsrat angehören soll, steht er nicht für den Mainstream der Bewegung. Mullah Omar zum Beispiel erließ erst im Sommer neue Verhaltensregeln für den Talib im Felde ("nicht rauchen, nicht köpfen" etc.) - auch ein Versuch, sich von Hardcore-Terroristen wie Hakkani abzugrenzen. Der Taliban-Chef weiß, dass unterschiedsloser Terror dem Kampf um "Herzen und Hirne" seiner Landsleute schadet.

Anders als das Hakkani-Netzwerk, haben sich die Mainstream-Taliban um Mullah Omar ideologisch und operativ bisher nicht von al-Qaida einfangen lassen. Sie hängen keiner "globalen Ideologie" an und sind auch nicht "weltweit" aktiv. Sie beteiligen sich nicht an Terroranschlägen außerhalb ihres Landes und sammeln auch kein Geld in deutschen Moscheen. Kurz: die afghanischen Taliban machen ihr eigenes Ding und verfolgen, wie manch andere islamistische Gruppe - siehe Hisbollah im Libanon oder Hamas - eine nationale Agenda: in diesem Fall, die ausländischen Truppen aus Afghanistan zu vertreiben und, wenn möglich, ihr Emirat wieder zu errichten.

Diese Positionen müssen nicht in alle Ewigkeit fest gemeißelt sein. Anfang Oktober ließ Mullah Omar etwa verlauten, man bedrohe nicht "andere Länder, einschließlich Europas". So tönt eine Regierung im Wartestand, die sich nicht wieder isolieren (lassen), sondern mitspielen will - von ihren eigenen Positionen aus, natürlich. Auch von einem Zeitplan für einen Truppenrückzug hat Mullah Omar schon gesprochen. Prominente "versöhnte" Taliban, die in Kabul eine Lobbygruppe gebildet haben, diskutieren derweil Themen wie politischen Pluralismus und sogar Frauenrechte. So entstehen Berührungspunkte, aus denen sich Dialoge ergeben können.

"Moderate" - besser: "pragmatische" oder "politisch denkende" - Taliban gibt es auch unter den Aufständischen im Feld oder in Quetta. Noch 2008 versuchten sie, mit Karsai oder dessen Verbündeten ins Gespräch zu kommen. Einige erklärten schriftlich, ihnen sei bewusst, dass auch sie gewaltsam nicht siegen könnten. Doch nach der Aufstockung der US-Truppen brachten die "Falken" unter den Taliban diese Möchtegern-"Tauben" erst einmal wieder auf Linie.

"Pragmatisch" darf man natürlich nicht mit "liberal" verwechseln. Auch "versöhnte" Taliban bleiben Islamisten. In Gesprächen mit ihnen wird man um jedes Menschenrecht ringen müssen. Gerade deshalb muss die künftige Regierung in Kabul alle sozialen und politischen Gruppen des Landes mit ins Boot holen - auch jene, denen eine Machtbeteiligung der Leute um Mullah Omar verständlicherweise als blanker Horror erscheint. Integrationskraft gehört leider nicht zu Karsais Stärken. Da ist er auf Nachhilfe seiner externen Alliierten angewiesen.

Gleichzeitig darf man sich von Anschlägen wie auf die UN, so schwer es fällt, nicht aus dem Konzept bringen lassen. Eine Kapitulation vor dem Gegner wäre es nur, unüberlegt und ohne Prinzipien in Gespräche einzutreten. Deshalb müsste die künftige Regierung in Kabul "rote Linien" definieren. Zu den Essentials gehört die Forderung: Schluss mit dem Terror gegen Zivilisten, ob Afghanen oder Ausländer.

Die unterschiedlichen Strömungen unter den afghanischen Aufständischen auseinander zu halten, darin liegt der Schlüssel für eine politische Lösung. Denn die meisten Afghanen haben das Blutvergießen in ihrem Land satt. Der Westen aber muss anerkennen, dass nicht alle Taliban Terroristen sind, und die "Pragmatiker" in ihren Reihen ernst nehmen und stärken. Verhandlungen mit den Taliban werden langwierig und hart, das ist sicher, eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Aber auch keine echte Alternative.

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3 Kommentare

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  • DG
    Dirk Gober

    Man ersetze "Taliban" durch "NSDAP" und das Jahr 2009 durch 1939...1945. Erst dann erkennt man, welchen Irrweg der Autor hier beschreitet.

    Sind denn politische Erkenntnisfähigkeit und Intelligenz keine Voraussetzungen für Journalismus mehr?

  • V
    vic

    Es darf davon ausgegangen werden, dass die Hakkani Gangster Früchte der "Friedensinitiative" der Westmächte sind, während die afghanischen Taliban um Mullah Omar schon immer im Land waren. Und mit denen muss geredet werden, denn ohne eine Einigung mit diesen - noch - einflussreichen Talib, wird das gegenseitige Schlachten nie ein Ende nehmen.

  • G
    gregor

    Ach, die schöne imperiale Leichtigkeit des Seins. Dann lieber die Frau Petersen, die den „wollt ihr den totalen Krieg“ anheizt. Man kann darüber schreiben, dass die Taliban eigentlich weich und kuschelig sind. Damit bleibt man innerhalb des Systemdenkens und umgeht die eigentliche Fragestellung. Was will Deutschland in Afghanistan? Nicht der nebulöse Westen, oder der rote Mars, sondern Deutschland. Das ist hier die Frage. Um was soll es bei den Verhandlungen mit der Taliban gehen? Um die Sicherheit von Deutschland? Oder um Menschenrechte? Wenn Herr Ruttig schreibt - „In Gesprächen mit ihnen wird man um jedes Menschenrecht ringen müssen.“ Dann bedeutet das, dass Deutschland in Afghanistan einen Krieg um Menschenrechte führt. Dann ist Afghanistan nur ein Schauplatz eines Krieges gegen die Welt des Islams. Ein Weltanschauungskrieg also. Und damit ist es keine Erwiderung zu Frau Petersens. Sie meint das auch so. Will nur nicht verhandeln.