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Archiv-Artikel

David Denk über GONZO i. V. Wodka, Bier und … Störgeräusche

Gegen einen schlechten Abend hilft nur eines: der Morgen danach

Neulich stand ich auf dem Klo eines Leipziger Cafés am Pissoir und dachte über Scharniere nach. Den Kopf hatte ich in der Beuge meines rechten Arms abgelegt. Der wiederum ruhte an der gekachelten Wand. Am Vorabend hatte ich ein bisschen gefeiert. „Wenn ich getrunken habe, bin ich am nächsten Tag immer so geräuschempfindlich“, hatte mein Freund D. kurz zuvor oben am Cafétisch gesagt und damit S. gemeint, die Freundin von St., die ihre Kaffeetasse für seine Ohren einen Tick zu laut auf der Untertasse abgestellt hatte: „Kennt ihr das auch?“

Ich schüttelte vorsichtshalber mal den Kopf: Soll der Junge sich doch bitte nicht so anstellen! Das bisschen Brotschnaps, Wodka, Bier und … – hab ich vergessen. Ah, nein, stimmt, Selbstgebrannten gab’s auch noch. Lieber D., ich nehme alles zurück: Als ich da unten am Pissoir lehnte und über Scharniere nachdachte, wusste ich sofort, was du gemeint hattest.

Die Pissoirs in diesem Café liegen hinter einer saloonartigen Schwingtür verborgen. Und so kam es, dass ich von infernalischem Lärm begleitet wurde. Die ausschwingenden Türflügel knarrten und ächzten wie die Graugesichter draußen auf der Straße – wenn sie jemand fragen würde. Aber sie fragt ja keiner! Offenbar litten die Schwingtüren Höllenqualen.

Wie ich, als ich drei Stunden vorher, als D. mich aus dem Bett klingelte und an unsere Brunchverabredung erinnerte. Brunchverabredung? Was war noch mal ein Brunch? Mein Hirn bootete an diesem Morgen, der ein Mittag war, relativ langsam. Genau genommen sollte es noch ein paar Stunden dauern, bis ich wieder auf den Großteil meiner Programme zugreifen konnte.

Warum ich das erzähle? All diese dreckigen Details? Ganz einfach: weil das, was so schrecklich anfing, der schönste Tag seit langem wurde. Genau genommen, seit dem 1. Januar. Der war auch nicht schlecht.

Damit wir uns nicht missverstehen: Der Abend vor dem Brunch mit D., S. und St. war schön, sehr schön sogar. Mein Freund A. feierte Geburtstag in seiner kleinen Dachgeschosswohnung. Wie hatte ich mich auf diesen Abend gefreut! St. brachte A. ein Ständchen auf dem Saxofon, das Geburtstagskind stieg mit seiner E-Gitarre ein. und sie jammten ein bisschen. Aber nicht zu lange. Die Nachbarn!

Es war einer dieser Abende, an denen man sich total geborgen fühlt. Nirgendwo anders wollte ich sein. Ich blickte in lauter vertraute Gesichter und wusste gar nicht, mit wem ich mich zuerst unterhalten sollte. Ich wollte nämlich mit allen reden – was natürlich mal wieder nicht klappte. Es war zwar A.s Wohnung, aber an jenem Abend war auch ich dort zu Hause – kitschig, aber wahr.

Es gibt allerdings auch Abende, die an den Erwartungen ersticken, die man an sie hat – Silvester zum Beispiel. Ich kann mich an kaum einen Jahreswechsel erinnern, der die wochen- und monatelangen Vorbereitungen wert war.

Die Tage danach hingegen sind geschenkte Tage – egal ob man sie im Bett verbringt oder mit Freunden im Café. Am Tag danach ist man frei. So frei wie selten (das gilt übrigens nicht nur für die Tage nach Partys – fragen Sie mal Felix Magath!). Verpflichtungen spielen keine Rolle, zum Lernen, Arbeiten, Putzen fehlt einfach die Kraft, Verabredungen trifft man nur kurzfristig und nur solche, auf die man auch wirklich Lust hat.

Wie die mit D., S. und St. Wir saßen stundenlang zusammen, zwischendurch gingen wir unsere verkaterten Köpfe auslüften, wir redeten, lasen Zeitung, lasen uns gegenseitig aus der Zeitung vor, aßen, tranken, redeten und lachten. Wir lachten und lachten – als würde es sehr bald verboten werden. Ficken allein ist übrigens noch keine Geschichte. Wenn Sie das lustig finden, haben Sie entweder ein ernsthaftes Problem oder gestern gefeiert. Versuchen Sie, den Kater zu ignorieren, und genießen Sie den Tag danach!

Morgen ist übrigens auch für mich ein Tag danach. Der Tag nach meiner letzten Vertretungskolumne. Der Chef kommt von seiner Hazienda zurück. Hasta la vista!

Zu hohe Erwartungen? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE