■ Daumenkino: Saltkrokan
Rebirthing- und andere Workshops sind ja schwer in. Billiger geht's derzeit im Kino. Um Erinnerungslücken zu stopfen, kann man nun noch einmal die Folie betrachten, hinter der man erlebte, was Erwachsene Kindheit nannten. 25 Jahre später machen wir noch einmal „Ferien auf Saltkrokan“.
Das dickliche Hummelchen, alias Tjorven, versteht nicht, wie es zu seinem Namen kommt, hüpft durch's grüne grüne Gras und singt „Ich gehe zum Herrn Södermann, ich gehe zum Herrn ...“ Sie will seine Haushälterin werden, und macht ihm gern den Abwasch. Familie Melcherson, bei der merkwürdigerweise die Mutter fehlt, fällt auf der beschaulichen Insel ein, als solle im Garten ihres schrottigen Feriendomizils wochenlang Reklame für Rama und Sunil gedreht werden. Die frühreife Morlin übernimmt den Part der Mutter und Hausfrau. Freud hätte seine helle Freude an den Brüdern Pelle und Johann, als sie entdecken, daß Teddy und Freddy nicht so sind wie sie, sondern Mädchen. Mit ihren strohblonden Haaren, der ewigen guten Laune und den gestelzten Dialogen spielt uns die urlaubende Famlie Melcherson die family values der Sechziger vor. Bieder bis zum Erbrechen, werfen sie sich Sätze an den Kopf wie: Du bist der beste Vater auf der Welt. Der riesige Bernhardiner „Bootsmann“ existierte nicht nur in unsrer Kinderphantasie, sondern trottet tatsächlich immer noch hinter den Kindern her. Leider stupst er die nervige Stine nicht ins Wasser, die mit künstlich hoher Quiekstimme Opern erzählt.
Saltkrokan liegt immerhin im liberalen Schweden, denkt man, und so ist eigentlich unvorstellbar, daß das Original ebenso waschmittelwerbemäßig daherkommt wie die synchronisierte deutsche Fassung. Die Mundbewegungen passen eh' nicht zusammen. Die „Ferien“ wirken im Kino überdies wie eine späte Rache des Fernsehens am abtrünnigen Zuschauer. Fehlt bei Spielfilmen in der Glotze an den Seitenrändern ein Stück Bild, erleben wir hier endlich Talking Melchersons, bei denen man zwar noch den Mund, Augen und Stirn aber schon längst nicht mehr sieht.
Am schlimmsten an diesem Urlaubsrevival aber ist die Erkenntnis, daß man als Kind nichts von dem Werteterror durchschaut hat, der einem auf Saltkrokan löffelweise in die Muttermilch gemischt wurde.
Und so schlimm Flipper von heute aus betrachtet sein dürfte: er ist wenigstens ein Ami. Saltkrokan mit seinen hünenhaften Blondinen aber liegt mitten in Deutschland. Wäre die Serie in Schwarzweiß, man könnte sich fast in ein Pfadfinderlager auf Helgoland versetzt fühlen. Dann lieber Urlaub bei Hollywoods Kulturimperialisten. Die bereiten inzwischen das Recycling eines anderen Schulpausenfüllers vor: Fred Feuerstein und Barnie Geröllheimer kehren zurück, als Menschen. Andreas Becker
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