piwik no script img

■ DaumenkinoWellville

Im letzten Roman des Übertreibungskünstlers T.C. Boyle werden die ungeschickten Versuche der Cornflakesfälscher Ossining & Bender beschrieben, ins lukrative Frühstückskostgeschäft einzusteigen. „Willkommen in Wellville“ spielt 1907, und abgesehen von gewissen Eskapaden um die Fälscherbande steht der Mann im Mittelpunkt, der als Erfinder des Trockenfutters gilt: Dr. John Harvey Kellogg. Der Doktor, im Film gespielt von Anthony Hopkins, hat gegen alles was einzuwenden, das mit Fleisch zu tun hat. Inklusive Sex. In seine Klinik kommt die amerikanische Bourgeoisie zum Abspecken und „fletscherisieren“ (kauen). Der Speisesaal des Holzschlößchens am See ist mit präsozialistischer Plakatpropaganda tapeziert: „Darm entleeren!“.

Während es im Roman noch gemächlich zugeht, hat sich Regisseur Alan Parker dazu verleiten lassen, die Gesundheitsfanatiker im Film mit viel Holterdiepolter und Komödienkreischen durch eine historisierende Blockhauskulisse zu scheuchen. Wenn den Insassen des „San“ zwischen all ihren Leibesübungen die Puste für Gespräche über ihr Geschlechtsleben endlich einmal ausgeht, jagt Dr. Kellogg seinen kleinen, mißratenen Adoptivsohn über die langen Flure. Der Slapstick wird hier zum Schlappstick. Will Lightbody kann sich nicht so recht mit den drei täglichen Darmwäschen anfreunden, die ihm seine personal nurse Irene verpaßt. Das Hauptgesprächsthema der Damen ist der eigene Körper in all seinen faszinierenden Ausprägungen. Weil sich seine personal nurse bis zu einem Ausflug ans Wasser (Freud!) ziert, muß Lightbody zwischendurch die grüngesichtige Miß Muntz aufmuntern („Alle sagen, ich hätte ein so grünes Gesicht. Finden Sie auch? Oh, äh, nein nur ... sie sind ein wenig blaß.“) Miß Muntz Gesicht belebt sich durch diese Therapie nur kurzzeitig: plötzlich ist sie tot.

Überall im „San“ sind furchterregende Fitneßmaschinen aufgebaut, die die Fleischeslust in all ihren perfiden Erscheinungen aus dem Körper schütteln. Kleine Stromschläge beschleunigen die Entschlackung, können aber auch schon mal tödlich enden. Will, längst willenlos geworden und beim Onanieren mit einem Elektroapparat ertappt („Sind Sie denn wahnsinnig?“), wird den greulichen Schwestern zum Fraß gereicht. Als er dann auch noch seine Gattin bei der Freikörperkultur mit dem deutschen Dr. Spitzvogel (Will: noch ein Wort auf deutsch, und ich stecke Ihnen ...) überrascht, ist endlich Schluß mit lustig und den „Manipulationen des weiblichen Unterleibs“. „Sie haben onaniert! Nein, ich habe nur meinen Darm massiert. Seit wann steht ihr Darm senkrecht in den Himmel?“ Andreas Becker

Willkommen in Wellville. USA 1994. Regie: Alan Parker. Mit Anthony Hopkins, Bridget Fonda, Matthew Broderick, John Cusack.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen