Dating in Berlin: Döner for two
Die Unverbindlichkeit beim Dating in Berlin weckt bei vielen das Bedürfnis nach Verlässlichkeit. Die Reihe „Candlelight Döner“ will das ermöglichen.
Warum ist das Daten so schwierig in dieser Stadt? Nutzer*innen stellen häufig schon in ihren Dating-App-Biografien klar: nur ONS (One Night Stands) oder ENM (Ethische Nicht-Monogamie). Inzwischen ist es so unverbindlich geworden, dass eine Gegenbewegung eingesetzt hat, die wieder die Zuverlässigkeit sucht. Auch die guten analogen Dating-Events sind zurück. Eines davon ist „Candlelight Döner“, eine Veranstaltung, die sich als Alternative zum klassischen Speeddating versteht. Einmal im Monat findet das Event statt, bei dem Teilnehmer:innen bei vegetarischem Döner-Buffet im Club Beate Uwe in Mitte die Möglichkeit erhalten, sich ohne Druck kennenzulernen. 33 Euro müssen sie dafür bezahlen.
Das Publikum ist eine besondere Crowd, auch an diesem Abend Mitte März: Um die 40 Menschen zwischen Mitte 20 und Mitte 40 schauen sich im Schein von Ayran-Lampen leicht klemmig um und beginnen, sich mithilfe eines Fragebogens in Grüppchen zusammenzufinden. Neugierig-vorfreudige Blicke und eine gewisse Nervosität sind spürbar: Ist heute die eine Person für mich dabei?
Die Abende versammeln Menschen, die Lust auf etwas Ernstes haben. Das wird in den Gesprächen abseits der Kennlernspiele deutlich: Da sind Frauen mit dem Bedürfnis für Verbindlichkeit und Männer, die von langen Anbahnversuchen, die in Ghosting enden, frustriert sind. Was aber nicht bedeutet, dass sie von sich auf andere zu schließen in der Lage sind: Als ich von meiner letzten Frustration nach zunächst großen Versprechungen und dann einer Standardabfuhr erzähle, stellen sich einige Kerle direkt auf die Seite des ihnen unbekannten Mannes: „Er wird schon einen Grund gehabt haben, dass er sich nicht mehr meldet, so was ist manchmal schwierig.“ „Next!“, denke ich mir.
Intimität beim Döner-Imbiss
Für Berliner Verhältnisse ist der Abend erstaunlich hetero: Für die Schnellfragerunde zu Beginn stellen sich die Männer in einen inneren Kreis und die Frauen um sie herum; je ein Mann sucht sich eine Frau aus, anschließend wird während einer Schnellfragerunde zu zweit mit Legos ein Fahrzeug gebaut.
Das Döner-Essen ist der intimste Moment des Abends: Ich stehe unbeholfen am Buffet an, schaufle Falafel und Halloumi in Pitabrote und versuche dann neben einer fremden Person das Ganze einigermaßen elegant in meinen Mund zu befördern. Im Halbdunkel des Clubs greife ich beherzt in die scharfe Sauce und bereue das schnell.
Die Moderator*innen Bettina Bestgen und Fabian Mrongowius leiten das Candlelight Döner mit angenehmem Bewusstsein für den Cringe, den ein solches Format haben kann. Die Idee für das Döner-Dating habe schon länger in ihnen geschlummert, erzählen sie. Sie hätten sich ausgetauscht, dass Dating in Berlin so frustrierend sei – obwohl es doch in ihrem gemeinsamen Freund*innenkreis viele Singles gebe, die Lust hätten, sich zu binden. Bestgen sagt, es gebe in Berlin viele sex-positive Partys, aber eben wenig Formate für Menschen, die auf etwas Ernstes aus sind. „Wir müssen die coolen, cuten, lieben Menschen in dieser Stadt nur verbinden können“, so die Idee.
Für die bisherigen Candlelight-Döner-Abende musste man sich über ein Onlineformular anmelden – dort wurden ein paar Fun Facts, das Instagram-Profil und das Interesse am Dating abgefragt. Menschen in einer offenen Beziehung seien nicht die Zielgruppe, sagt Bestgen. Anfangs hätten die beiden die Singles von Hand ausgewählt, die Social-Media-Profile angeschaut, Sprachnachrichten ausgetauscht oder telefoniert. „Wieso möchtest du gerne zu uns kommen? Was suchst du?“ Nun würden sie versuchen, das Event ein wenig zu öffnen.
Dating für alle
Für die nächste Veranstaltung am 19. April könne man sich erstmals ohne Vorauswahl ein Ticket kaufen, wenn man den Bedingungen entspricht – worunter etwa fällt, kein Nazi zu sein: „Wir müssen die richtige Balance finden zwischen inklusiv und exklusiv“, sagt Mrongowius. Die beiden fühlten durchaus eine gesellschaftliche Verantwortung: „Wenn man sagt, für Person X oder Y ist die Tür zu, dann baut man eine Barriere auf.“
Denn natürlich ist Berlin auch eine Stadt der gesellschaftlichen Blasen. Wo trifft man schon auf Menschen, die einen anderen Beruf, eine andere Herkunft, eine ganz andere Meinung haben? Diese Segregation in der Partnersuche verstärkt sich durch den Algorithmus der Dating-Apps, die Menschen in Attraktivitätsgrade einteilen oder gleich dafür sorgen, dass übergewichtige Menschen, Schwarze Personen oder nichtbinäre Nutzer*innen seltener angezeigt werden.
Bestgen sagt, ihr sei es wichtig, dass es beim Candlelight Döner nicht zu den schlechten Situationen kommt, die man üblicherweise im Dating erlebt. Ein Weg, das sicherzustellen, sei auch durch das finanzielle Commitment der Beteiligten: „Man muss an dem Abend pünktlich sein, man muss einen Eintritt bezahlen und sagen: Ich bin offen dafür.“ Derzeit meldeten sich mehr Frauen als Männer an. „So viele tolle Frauen melden sich, das ist fast ein Luxusproblen“, so Bestgen.
Warum das Daten in Berlin so eine Herausforderung ist? In Berlin sei alles sieben Tage die Woche, 24 Stunden lang verfügbar, so Bestgen. „Ich habe letztens mit einer Freundin aus Zürich telefoniert, die sagt, sie habe Bumble zu Ende gespielt.“ Es gebe für sie einfach keine neuen Männer mehr in der App. „In Berlin dagegen ist das Angebot so groß, wieso sollst du dich entscheiden?“ Da sei immer jemand Schöneres, Spannenderes, Interessanteres verfügbar. „Wieso soll ich die Klappe zu machen? Diese Haltung – I don’t care, was morgen ist – die zeigt sich auch im Dating-Leben“, vermutet Bestgen.
Die heteronormative Zweierbeziehung ist out
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Ist die monogame Zweierbeziehung nicht auch ein Konzept, das es zu überwinden gilt? Ist es nicht ein Trugschluss, dass der Mensch nur mit einer Person glücklich werden kann? Ist die Rückkehr in die verbindliche Zweierbeziehung nicht auch ein Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Comebacks der konservativen Werteordnung?
Auch Mrongowius meint, in Berlin prallten zwei gesellschaftliche Bilder besonders stark aufeinander: „Einerseits ein Erwartungswunsch, wie die Gesellschaft aussehen soll und kann und andererseits, wie die gesellschaftlichen Realitäten sind“, so der Veranstalter. „Wir haben sehr viele emanzipierte Frauen, die zu uns kommen, die größere Schwierigkeiten haben, jemanden zu finden. Offensichtlich attraktive Männer haben eine höhere Nachfrage und daher keinen großen Druck, sich binden zu müssen, weil für sie sich immer jemand interessiert.“ Frauen hingegen würden häufiger ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen – und nicht wie die Männer abwarten, was auf sie zukommt. Dort gebe es häufig einfach einen anderen Druck, auch in Sachen Familienplanung, glaubt Mrongowius.
„Ich glaube, wir sind eine Umbruchsgeneration zwischen: Okay, die alten Rollenbilder akzeptieren wir nicht mehr. Vielleicht haben wir verschiedene Dinge ausprobiert: offene Beziehungen oder Poly-Strukturen. Aber was heißt das eigentlich konkret? Wie gehen wir damit um? Ist das eigentlich uncool, sich committen zu wollen? Gleichzeitig gibt es wieder einen Umbruch hin zu einer neuen, konservativen Wertordnung.“
Vielleicht zeigt die Popularität des Döner Datings, wie groß das Bedürfnis in Sachen Bindung ist – ohne den Humor und die Freiheit verlieren zu wollen, die Berlin verspricht. Matchmaking? Auf keinen Fall! Ein Spieleabend mit Flirtpotenzial zieht da schon mehr.
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