: Das wird Schule nicht besser machen
betr.: „Halbgares Konzept für ganze Tage. Die Grundschulen sind künftig auch für die Nachmittagsbetreuung zuständig“, taz vom 12. 6. 04
Ausgerechnet der rot-rote Senat will mit aller Gewalt das alte DDR-Modell „Schule und Hort in einem“ in Berlin durchsetzen. Dabei ist es der Politik völlig egal, dass sich in dieser Stadt eine Vielfalt von pädagogischen außerschulischen, nachschulischen und schulunterstützenden Angeboten aus dem Engagement hunderter Eltern und ErzieherInnen entwickelt hat. Das übrigens in seiner Vielfalt und Mitbestimmungsmöglichkeit von Eltern, Kindern und PädagogInnen seinesgleichen in der ganzen Republik sucht. Nur das Hineinnehmen der „Nachmittagsbetreuung“ in die Schule wird Schule nicht besser machen, und die eigentlichen Probleme werden wieder beiseite geschoben. Sie werden dadurch im Augenblick sogar noch verschärft.
Die kleinen, so unterstützenswerten Schülerläden, Schülerinseln usw. sind als Institutionen der Zivilgesellschaft mit den von ihnen begleiteten Kindern die Hauptleidtragenden eines staatsfixierten Denkens von Parteien, die es mit dem Bürgerengagement nicht ernst nehmen. Das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 GG) auch im Schulalter wenigstens noch ein bisschen autonom zu gestalten, wird vom Senat auf die Vor-68er-Zeit zurückgeschraubt, im Osten der Stadt auf die Vor-89er. Die Verunsicherung ist riesig, die Wut noch größer. Die gerade entstandenen und entstehenden kleinen alternativen pädagogischen Blüten im Osten der Stadt werden an die Wand gedrückt bzw. in ihrer Eigenständigkeit bedroht. Die personelle und fachliche Problematik wird bei der Umstrukturierung völlig vernachlässigt. So werden Kita-ErzieherInnen aus dem Überhang in die Hortbetreuung an Schulen gesteckt, die in ihrem ganzen Leben noch nicht mit Kindern zwischen 7 und 12 Jahren gearbeitet haben. Welche Qualität der Unsinn hat, bemerkt mensch an wahren Beispielen aus der Praxis: 40- bis 50-jährige Kindergärtnerinnen aus Hellersdorf, die kaum Erfahrung mit MigrantInnenkindern haben, werden nach Neuköln gesteckt, wo die MigrantInnenkinder teilweise 80 Prozent der Schulkinder ausmachen. Und damit hier keine Schieflage entsteht: ErzieherInnen aus dem Schülerladenspektrum mit weitreichenden Kompetenzen in der Arbeit mit Kindern dieses Alters und mit diesem Hintergrund müssen bei Schließung ihres „Ladens“ vielleicht demnächst mit Kindern im Alter von 0 bis 6 Jahren in einer Großkita mit starker Leistungsorientierung arbeiten. Die Herrschaften der Politik nehmen das Gerede von der Flexibilisierung ein bisschen zu ernst. In der Pädagogik geht es um Menschen! […]
Aber menschliche Befindlichkeiten und Fähigkeiten zählen bei dem ganzen Unterfangen ohnehin nicht mehr, es geht ja schließlich nur darum, dass unsere Kinder sich später gut und billig verkaufen, da kann der Senat noch so rot sein. Aber selbst dieses Ziel wird wohl kaum erfüllt mit diesem Unsinn. TINO KRETSCHMANN, Diakon
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