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■ Das neue Parteienfinanzierungsgesetz wird verabschiedetLanger Anlauf, kurzer Sprung

Die große Parteienfinanzierungskoalition aus SPD, CDU/ CSU und FDP vertut eine Chance: die Chance nämlich, die Neuregelung der Parteienfinanzierung zu einem Befreiungsschlag für das öffentliche Ansehen der Parteien zu nutzen und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ein paar Milliönchen sind ihnen wichtiger als der politische Gewinn, den eine von allen getragene Lösung erbrächte.

Dabei waren sie auf dem richtigen Weg – wenn auch nicht freiwillig. Ihn einzuschlagen, dazu hatte sie das Bundesverfassungsgericht (BVG) mit seinem Grundsatzurteil vom 9. April 1992 gezwungen. Als die Richter damals das neue Zeitalter der Parteienfinanzierung einläuteten, waren alle voll des Lobes. Nicht nur die Grünen, die geklagt hatten, frohlockten, weil die Parteienfinanzierung endlich vom Kopf auf die Füße gestellt worden sei. Und nicht nur JournalistInnen und WissenschaftlerInnen kommentierten das Karlsruher Grundsatzurteil durchgängig positiv.

Nein, auch diejenigen, die das alte System bis zuletzt – auch vor Gericht noch – verbissen verteidigt hatten, stimmten ein in den Jubelchor: die SchatzmeisterInnen von SPD, CDU/CSU und FDP, von denen man eher Urteilsschelte, Selbstkritik oder Schweigen erwartet hätte. So viel Zustimmung hat selten eine BVG-Entscheidung von weitreichender Bedeutung erfahren. Was ist jetzt, eineinhalb Jahre später, davon geblieben? Nach langem Anlauf erleben wir einen zu kurzen Sprung.

Eine vom Bundespräsidenten berufene Sachverständigenkommission, der ausschließlich Männer, Juristen, Wessis, Hochverdiener angehörten, informelle Arbeitskreise von Wissenschaftlern und PolitikerInnen, eine Tagung der Gesellschaft für Rechtspolitik – Stationen einer Suche nach dem Ausweg aus dem Labyrinth der Parteienfinanzierung. Schwer machte diese Suche der Taschenrechner, der, stets dabei, demokratietheoretische Überlegungen nicht selten zurückdrängte.

Gewiß, die wesentlichen Vorgaben des Gerichts werden umgesetzt. Im bisherigen System klafften rechtliche Fiktion und Wirklichkeit weit auseinander: Angeblich erstattete der Staat den Parteien lediglich ihre Wahlkampfkosten, in Wirklichkeit aber gewährte er seit Jahrzehnten allgemeine Zuschüsse. Jetzt redet das Gesetz Klartext: Die Parteien haben in der parlamentarischen Demokratie, über den Wahlkampf hinaus, unverzichtbare Aufgaben – und für ihre Gesamtarbeit erhalten sie in begrenztem Umfang staatliche Unterstützung. Das sind die „Kosten der Demokratie“; sie einzusparen hieße, den Einfluß der Reichen und Mächtigen ins Unermeßliche zu steigern und neuen Parteien jede Chance zu verweigern.

Wie hoch die staatliche Teilfinanzierung ist und wie sie verteilt wird, soll künftig davon abhängen, in welchem Maß die jeweilige Partei von der Gesellschaft getragen wird. Das macht sich einseits an ihrem Wahlerfolg, andererseits an ihrem Erfolg bei der Einwerbung von Mitgliedsbeiträgen und Spenden fest: Für jede Stimme bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen gibt es jährlich eine Mark, für jede Beitrags- und Spendenmark 50 Pfennig. Dabei sind strikte Grenzen zu beachten: Die Parteien dürfen nicht mehr staatliches Geld erhalten, als sie selbst einwerben; und insgesamt „deckelt“ die Zuschüsse eine absolute Obergrenze, die 230 Millionen Mark betragen soll. So weit, so akzeptabel. Denn das ist weniger Staatsgeld als bisher – und genau das ist vom Gericht gewollt. Die Regelung wird einfacher und überschaubarer – nicht nur, wie bisher, für Fachleute, sondern für alle verständlich.

Blieben SPD, CDU/CSU und FDP hier stehen, könnten sie große Zustimmung und kaum Tadel verbuchen. Aber es reicht ihnen offenbar nicht. Unbeirrt halten sie an einigen Streitpunkten fest, die zu klein sind, um von Skandal zu sprechen, aber zu groß, um unbemerkt zu bleiben und den positiven Gesamteindruck nicht zu stören. Da siegt denn leider doch das betriebswirtschaftliche Kalkül über die politische Vernunft. Einige Beispiele:

Die sogenannte Degression: Für die ersten fünf Millionen Stimmen soll jede Partei 1,30 Mark erhalten, erst dann sinkt der Zuschuß auf eine Mark. Damit wird der Kuchen insgesamt nicht größer, aber zugunsten der Kleinen anders verteilt. Denn sie sind, einschließlich der grünen Kläger, die finanziellen Verlierer der Neuregelung: Ohne die Degression müssen sie künftig mit einem Viertel weniger an staatlichen Zuschüssen auskommen, während die SPD sich gut auf dem bisherigen Stand halten kann und die CDU nur relativ geringe Einbußen verzeichnet.

Trotzdem stößt die Degression auf Bedenken, denn das BVG hatte jeden erfolgsunabhängigen Sockelbetrag für verfassungswidrig erklärt. Darum wäre es aus verfassungspolitischen Gründen besser, auf diesen versteckten Sockel zu verzichten. Fehl geht allerdings das politische Argument, die Degression begünstige rechte Parteien. Mit diesem Gedanken könnten die Großen letztlich überall formale Einschränkungen für kleine Parteien durchsetzen – der Schaden für die Demokratie wäre größer als der Nutzen bei der Abwehr der rechten Parteien. Die sind entweder politisch zu bekämpfen oder als verfassungwidrig zu verbieten; der Geldhahn ist das falsche Instrument.

Zweitens die steuerliche Begünstigung von Zuwendungen an die Parteien. Daß derzeit Ledige 60.000 und Verheiratete 120.000 Mark im Jahr von der Steuer absetzen können, hatte das BVG für verfassungswidrig erklärt. Der Gleichheitsgrundsatz sei verletzt, wenn Steuervergünstigungen in einer Größenordnung gegeben werden, die durchschnittliche EinkommensbezieherInnen nicht ausschöpfen können. Nun wollen SPD, CDU/CSU und FDP die Grenzen auf 6.000/12.000 Mark senken. Doch auch diese Beträge sind für NormalbürgerInnen nicht erreichbar; die Kommission hatte 2.000/4.000 Mark vorgeschlagen, die Grünen regten an, sich in der Mitte zu treffen. Hier wird der durchschnittliche Einkommensbezieher mit dem durchschnittlichen Bundestagsabgeordneten verwechselt, den seine Partei anhält, einen Teil der Diäten zu spenden, und der diese finanzielle Zumutung zumindest partiell auf den Fiskus abwälzen will.

Drittens die Übergangsregelung. Auf der Schwelle von der alten zur neuen Parteienfinanzierung wollen die genannten Parteien noch einmal zulangen und auch für 1993 den Chancenausgleich, der frühestens in einem Jahr ausgezahlt werden kann, einstreichen, obwohl das BVG ihn für verfassungswidrig und daher zum Auslaufmodell erklärt hatte. Es handelt sich immerhin um mehr als 25 Millionen Mark. Wenn der Bundestag, anstatt sich zu bescheiden, eine verfassungswidrige Regelung zeitlich begrenzt fortschreibt und damit den großzügig gespannten Rahmen des BVG noch ausbeult, dann ist das – jenseits aller rechtlichen Bedenken – kaum verhüllte Habgier.

Die Parteienfinanzierungskoalition hangelt sich an der Grenze dessen entlang, was verfassungsrechtlich zulässig, und ignoriert dabei, was verfassungspolitisch geboten ist. Sie tut nur, wozu sie gezwungen ist, aber nichts darüber hinaus. Um das Bild aufzunehmen: Ja, die Parteienfinanzierung steht ab heute nicht mehr auf dem Kopf, sondern auf den Füßen, aber mit gebeugtem Rücken. Ein aufrechtes Rückgrat hätte allen Parteien, hätte der politischen Kultur insgesamt gutgetan. Michael Vesper

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