: Das hat nichts mit Verstehen zu tun
betr.: „Die ewigen Rechthaber“
Ich bin sehr froh über diesen Artikel. Die gängigen Statements zum Thema: Wo warst du im Dritten Reich bzw. wo wärest du gewesen – ich kann sie nicht mehr hören. Ich kann keinen schulterzuckenden Bernd Begemann mehr sehen, der sagt, wir wären doch auch alle Nazis gewesen. Historisch mag das Dritte Reich ja aufgearbeitet sein – kulturtheoretisch und psychoanalytisch ist es nie passiert. Wie kann ein ganzes Land mit diesem blinden Fleck herumlaufen, der sagt, die sind doch alle nur mitgelaufen, ohne zu versuchen, die nächste Stufe zu nehmen: Was, wenn ich heute auch nur mitlaufe? Was, wenn ich auch wegschaue? Wenn ich meine Entscheidungen davon abhängig mache, welches Menschenbild gerade populär ist? Welche Staatsform? Bedeutet Staat für mich automatisch Recht?
Ich selbst habe erst nach dem Tod meiner Großeltern realisiert, dass diese im Dritten Reich aktive Nazis waren. Obwohl meine Eltern zu den 68ern gehören und bei uns viel politisch diskutiert wurde. Ich habe aber schon vor ihrem Tod wahrnehmen können, dass diese Menschen zwar ein Leben führten, das nach außen hin geordnet und demokratisch erschien, dass sie aber in zwischenmenschlichen Beziehungen, gerade zu uns Enkeln, niemals ihr Herz aus dem Eisschrank nehmen konnten, in den sie es im Dritten Reich gelegt hatten. Denn dass ist ja im Kollektiv passiert: Das Mitgefühl wurde eingefroren; das Menschliche wurde verneint.
Meine Großeltern waren nicht in der Waffen-SS, sie bekleideten keinerlei wichtige Positionen im Dritten Reich. Sie waren überzeugte Parteimitglieder. Nicht mehr und nicht weniger. Meine Familie gibt es hunderttausendmal in Deutschland. Mindestens. Nur sagen zu viele von ihnen: Ich wäre doch auch Nazi gewesen – so wie alle damals. Aber das hat nichts mit Verstehen zu tun. Oder mit wirklichem Fragenstellen. MAIKE VOGEL, Mannheim