Das braune Klischee Passau: Eine Stadt wehrt sich
Passau sei ein rechtes Nest, hieß es noch vor wenigen Jahren. Inzwischen stehen die Bürger gegen Nazis auf - und bekommen sie doch nicht aus der Region.
Am Tag nachdem die Meute wieder abgezogen ist und die Übertragungswagen nicht mehr auf dem Domplatz parken, steht Berufschullehrer Dieter Schönbuchner in einer Schulaula am Rande Passaus, blickt auf ein Flipchart und schaut zufrieden. Er blättert durch fünf dicht beschriebene Seiten mit Schülerunterschriften. Sie wollen Alois Mannichl alles Gute wünschen im Krankenhaus. Das ist nicht so öffentlichkeitswirksam wie eine große Demo oder ein besorgter Besuch vom Ministerpräsidenten. Aber es ist ein Zeichen.
Der Mordanschlag auf Polizeichef Mannichl hat vieles aus der Passauer Vergangenheit wieder nach oben gespült. Die Stadt galt lang als Negativbeispiel dafür, wie Bürger kollektiv die NS-Vergangenheit verdrängen und den Rechtsextremismus tolerieren. Aber das schien schon seit Jahren überwunden.
Nun meldete sich über die Passauer Neue Presse eine Figur aus jener Zeit wieder. Anna Rosmus, die Passauerin, die in den 80er-Jahren für einen Schülerwettbewerb die verdrängte Nazi-Vergangenheit ihrer Stadt erforschte und dafür so angefeindet wurde, dass Michael Verhoeven den Film "Das schreckliche Mädchen" über sie drehte. "Ist Passau braun"?, fragten die Reporter. "Nicht mehr als bislang", antwortete Rosmus, die seit Jahren in den USA lebt. "Probleme dieser Art hatte Passau schon vor 25 Jahren, und es werden vermutlich nicht weniger."
In der Berufsschule Passau 2 sitzt Schönbuchner in seinem Büro und sagt: "Wir haben keine Probleme mit Rechtsradikalismus." Seine Schule hat sich als erste Berufsschule Bayerns schon 2001 das Siegel "Schule ohne Rassismus" gegeben. Schönbuchner ist der stellvertretende Schulleiter. Wann immer es geht, behandeln seine Jugendlichen das Thema Rassismus im Unterricht. Sie machen Projekte zum jüdischen Leben in Passau vor dem Krieg, und die Schule hat die Patenschaft für ein indisches Mädchen übernommen.
"Passau ist eine liberale Stadt", erklärt Schönbuchner. Vor allem der Bau der Uni in den 70er-Jahren habe die Stadt verändert. Die Zeiten, als rechte Parteien ihre großen Veranstaltungen in der Nibelungenhalle in der Innenstadt abhielten, sind vorbei. Schönbuchner meint: "Die Nibelungenhalle ist abgerissen, die Uni steht."
Im Widerstand gegen rechts spielt die Uni tatsächlich eine große Rolle. Die Spontandemonstration nach dem Anschlag auf den Polizeichef wurde von Studenten organisiert. Die Zahlen, die man nun lese, dass da über 600 Passauer vor dem Dom zusammengekommen seien, findet Simone Wieland, Sprecherin der Juso-Hochschulgruppe, etwas übertrieben. "Das schöne war aber, dass sich viele Bürger ganz spontan angeschlossen haben", sagt sie, als sie am nächsten Mittag in der Uni-Cafeteria sitzt.
So war das in Passau bei weitem nicht immer. Die Rechten in der Stadt wurden lange Jahre toleriert. In den 90er-Jahren machten die erstarkenden rechten Parteien DVU und NPD Passau zum Wallfahrtsort. 1998 kamen an einem Tag 4.000 NPD-Anhänger in die Nibelungenhalle in der Innenstadt. Während die bürgerliche Öffentlichkeit erst langsam begann, sich gegen die rechten Aufmärsche zu wehren, hatte sich in Passau Anfang des Jahrzehnts eine der aktivsten Antifa-Szenen des Landes gegründet.
"Als wir aktiv waren, konnten sich die Neonazis in Passau nicht entwickeln", sagt einer der damals Aktiven. Die örtliche Polizei sei gegen die rechten Aufmärsche zwar ab und zu vorgegangen, aber nur selten und allein aus Angst um den guten Ruf der Stadt. Passau sollte nicht als rechte Hochburg dastehen. Der frühere Polizeidirektor Leonhard Gruber - ein Vorgänger Mannichls - sagte, er fürchte wegen der Antifaschisten um seine Sicherheit. 1998 stürmte die Polizei in einer deutschlandweiten Razzia ohne Vorwarnung 30 Wohnungen von aktuellen oder ehemaligen Passauer Antifa-Aktivisten wegen des Verdachts auf "Gründung einer kriminellen Vereinigung". Eine Begründung für diese Vermutung konnten die Behörden nicht vorweisen. Es gab kaum Verurteilungen. Aber die Antifa-Szene von Passau war auf Jahre geschwächt.
Vor wenigen Jahren hat sich wieder eine lebendige linke Szene entwickelt. Und die tut sich in ihrer Arbeit leichter als ihre Vorgänger vor zehn Jahren. Die gesellschaftliche Stigmatisierung der Antifa gebe es in der Stadt nicht mehr, sagt einer der Aktiven. Die Antifa ist mittlerweile ebenso wie die Kirche und sämtliche Parteien am "Runden Tisch gegen Rechts" beteiligt. Wenn in Passau heute gegen eine rechte Kundgebung demonstriert wird, dann kommt der Aufruf von Antifa und Parteien gemeinsam. "Dass die mit uns an einem Tisch sitzen, das wäre früher nie möglich gewesen", sagt die Sprecherin der Passauer Antifa.
Doch während der Protest gegen rechts mittlerweile vom bürgerlichen Mainstream der Stadt mitgetragen wird, bis hin zur CSU, bleibt das Problem mit den Rechtsextremisten. Vor allem im Umland hat sich die Szene dauerhaft eingenistet. Der angrenzende Landkreis Rottal-Inn gilt als ein Schwerpunkt der Szene. Auch eine Gruppe namens Aktionsgruppe Passau, die vor der Landtagswahl auf ihrer Website ein Video veröffentlichte, in dem Maschinengewehre zu sehen waren, kommt aus dem Passauer Umland. Das Café Traudl in Fürstenzell, dem Ort, in dem das Attentat auf Mannichl verübt wurde, ist zum regelmäßigen Treff der Rechtsextremen geworden. All das zieht Neonazis auch über die umliegenden Landkreise hinaus immer wieder in die Region, auch aus dem nahen Oberösterreich.
In Passau gehen die Bürger mittlerweile regelmäßig gegen rechts auf die Straße. Aber nicht alle trauen dem selbstlosen Bekenntnis zur Zivilcourage. Ein Antifa-Aktivist meint: "Passau ist ganz stark getrieben von der Angst, seinen guten Ruf zu verlieren."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe