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Archiv-Artikel

Das Wort zum Montag Jung, frech, mutig

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mix aus Nordischem und Klein-Berlin. Zurzeit Hausautor am Bremer Theater, holt er für die taz Perlen aus dem hanseatischen Schlick.

Starke Frauen wählen. Ja, was denn? Ihren Partner, ihren Beruf, ihren Wohnort? Oder, der Fernsehwerbung folgend, ihre Tamponmarke, ihren Soßenbinder, ihr Geschirrspülmittel? Die hohe Anzahl, ja, Penetranz der Plakate am Wall gibt mir viel Zeit, darüber nachzudenken.

Eine Woche später ist der Slogan auf jedem einzelnen Plakat mit Edding durch ein Wörtchen ergänzt: Starke Frauen wählen links. Und jetzt weiß ich auch, was mich an dem Slogan aufgeregt hat. Nicht, dass er für eine konservative Partei wirbt, deren Frauen- (gestützt durch das entsprechende Männer- und Familien-) bild ja eher mit der traditionellen Unterordnung als mit Selbständigkeit und Stärke zu tun hat, und die Behauptung insofern eine Frechheit ist. Nein, es ist der infame Einsatz sprachlicher Kreativität, die Verletzung der Valenz des Verbs „wählen“, die mich intuitiv ärgerte.

Das Verb „schlafen“ zum Beispiel hat die Valenz eins, es braucht nur eine nominale Ergänzung im Nominativ, damit ein formschöner Satz entsteht. Das Verb „wählen“ dagegen hat die Valenz zwei, es braucht eine nominale Ergänzung im Nominativ und eine im Akkusativ. Die klaffende Lücke nach „Starke Frauen wählen“ soll zu individuellen Assoziationen führen; bei mir, siehe oben, Partner und Soßenbinder, Beruf und Geschirrspülmittel, die dann aber mit dem Parteienlogo in einen Wahlaufruf gebündelt werden. Der anonyme Schmierfink ist also nur ein Verfechter der präskriptiven Grammatik.

Noch ein paar Tage später klebt ein weißes Stück Papier über dem Wörtchen „links“. Die Partei hat gemerkt, daß ihr Versuch der Sprachtrickserei nach hinten losgegangen ist. Aber unter dem unschuldigen Weiß, ist das schwarze „links“ noch immer zu erkennen. Negationen funktionieren eben nicht: Bitte denken Sie jetzt NICHT an eine Erdbeere!

Ein anderer Slogan, der meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, lautet: „Jung, frech, mutig“. Vermutlich, weil seine politische Realität eher bedeutet: überaltert, unsichtbar und bedeutungslos. Mit dem größten Eis aller Zeiten bewaffnet, sitze ich mit meiner Freundin D. gegenüber dem Hauptbahnhof an dem kleinen Stückchen Grün, eines dieser Plakate im Rücken. Ein Trio pubertierender Fahrradfahrer kreist lachend um das Plakat, wiederholt immer wieder spöttisch die Wörter jung, frech und mutig.

Das Sprachgefühl der sog. Jugend beruhigt mich. Der eine, vielleicht siebzehn, trägt eine zerschlissene Bundeswehrjacke, am Oberarm eine billig aufgenähte weiße Binde mit einem mit Edding (!) aufgezeichneten Peace-Zeichen. Er fährt ein Damenrad. Jung, frech, mutig.

Kristo Šagor