Das Weltkulturerbe hat kaum Chancen in Wien : Der Kölner Dom ist bald weg
Das rechtsrheinische Köln ist eine Brachlandschaft. Zerfurcht von Autobahnen, zerklüftet von Bauruinen und eingeebneten Betrieben harrt das ehemalige industrielle Zentrum der Stadt seiner Auferstehung.
Spätestens seit Klöckner-Humboldt-Deutz Mitte der 1990er Jahre Konkurs machte und zehntausende Arbeiter vor die Tür setzte, ist Köln wieder zurückgeworfen auf seinen linksrheinischen Ursprung. Daran haben auch die ambitioniertesten Projekte des „Strukturwandels“ vom Industrie- zum IT-Standort, wie die „Technologie-Spange“ oder das „Medienzentrum Ost“ nichts geändert. Das Panorama auf der östlichen Flussseite ähnelt einem Flickenteppich.
Auf der anderen Seite thront der Dom als Wahrzeichen der Stadt. Die gotische Kathedrale, nach 657 Jahren fast fertig, weist dem sprichwörtlichen Kölner den Heimweg, wenn er „ze Fooss noh Kölle jon“ möchte. Doch nun droht sich der Kölner, der aus der Fremde nach Hause sucht, zu verlaufen. Denn wenn er sich der Heimat – zu Fuß oder nicht zu Fuß – auf der Autobahn aus der Nachbarstadt Siegburg nähert, sieht er jetzt an Stelle des Doms einen Hochhausturm, erbaut mit Pensionsgeldern des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), der Rheinischen Zusatzversorgungskasse. Das Gebäude ist fast vollendet.
Warum der „LVR-Turm“ unbedingt 103,5 Meter hoch werden musste, konnte bis heute niemand schlüssig erklären. Jedenfalls verstellt der uninspirierte Klotz wichtige Sichtachsen auf den Dom. Und damit nicht genug. Weitere Bauten in ähnlicher Dimension sollen direkt nebenan folgen. Auch die neue Messe – für 300 Millionen Euro vorfinanziert von einem privaten Immobilienfonds – soll auf diese Weise ein würdiges Entrée erhalten.
Das Hauptproblem, das die Kulturorganisation der Vereinten Nationen, die Unesco, aufgerüttelt hat: Die geplanten Türme wenden sich, so wie sie derzeit geplant sind, von Dom und linker Rheinseite ab und bieten sich gegenseitig die Frontseiten. „Wenn schon Hochhäuser, dann eine Skyline“, echauffiert sich zum Beispiel der Bund deutscher Architekten. Stattdessen sollen kreisförmig um den Messeeingang angeordnete Solitäre um die Gunst der Betrachter buhlen. Die Unesco überlegt deshalb, den Weltkulturerbe-Status des Doms abzuerkennen. Für die Tourismuswerbung Kölns wäre das ein herber Schlag.
Kölns CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma zog diese Woche aus, den Dom zu verteidigen. In Wien vor dem tagenden Tribunal der bösen Unesco, welche die Unverfrorenheit besitzt, die Allmacht der Kölner Stadtspitze in Frage zu stellen. „Ich weiß gar nicht, was die Unesco eigentlich will“, sagte Schramma vor seinem gestrigen Auftritt. Die sage seit anderthalb Jahren klipp und klar, sie möchte eine Anpassung der Hochhauspläne an die Dimensionen des Doms, damit der seine Wirkung im Stadtbild nicht einbüst.
Schrammas Auftreten in Wien legt aber die Vermutung nahe, dass er selbst keinerlei Überzeugung hegt. Denn dann hätte er nicht gefragt, was die Unesco will, sondern erzählt, was Köln will. Die Chance, dass in der entscheidenden Unesco-Sitzung im Juli zu Gunsten Schrammas entschieden wird, stehen bei solch schwacher Positionierung schlecht. Der Dom ist nicht das einzige deutsche Weltkulturerbe auf der „Roten Liste“ der Unesco: Weil über den Rhein bei St. Goar eine Brücke gespannt werden soll, steht nun auch der Status des Loreley-Tals auf der Kippe. Die Unesco muss aufpassen, dass sie mit ihrer Erbe-Philosophie noch ernst genommen wird, wenn sie sich dem „Fortschritt“ in den Weg stellt.
Das Problem ist allerdings nicht die Unesco oder ihre Auffassung von Weltkultur. Das Problem ist die maßlose Fehleinschätzung von politischen Wichten, die glauben, mit epigonalen Hochhäusern oder lauten Autostraßen ließe sich die Renaissance einer rechtsrheinischen Brachlandschaft oder die ökonomische Aktivierung einer ländlichen Rheinregion bewerkstelligen.
SEBASTIAN SEDLMAYR