Das Unglück der Emos eckt an

Emocore hören, Pony tragen, zweifeln: Die Emos sind die Jugendbewegung mit dem größten Zulauf. Das schützt sie nicht vor Anfeindungen. In Bremen ist man uneins, ob sie zudem durch Alkohol und Selbstverletzungen gefährdet sind

Es ist extrem, wie sehr die Emo-Szene den Hass anderer Jugendlicher auf sich zieht“

von Teresa Havlicek

Yvonne trägt Kontaktlinsen, die ihre Iris komplett schwarz und ihren Blick merkwürdig starr erscheinen lassen. „Wenn ich mich irgendwo zuordnen müsste, dann zu den Emos“, sagt die 18-Jährige. „Aber in erster Linie bin ich ich.“ Emo sein ist „in“. Die Szene wächst so schnell wie derzeit keine andere. Emo sein kann aber auch ziemlich schwer sein. Nicht nur, weil Erwachsene befremdet auf die düster gekleidete Jugendszene reagieren. Emos widmen sich gern dem Weltschmerz, beschäftigen sich mit Ängsten, Selbstzweifeln und Trauer. Und das „löst bei vielen Aggressionen gegen sie aus“, sagt der Soziologe Marco Höhn von der Uni Bremen, der zu Jugendszenen forscht.

In Bremen treffen sie sich samstags auf dem Bahnhofsvorplatz. Grauer Beton, ein paar Skaterampen, gesäumt von Straßenbahnen, Dönerbuden und dem vierspurigen Breitenweg. An diesem Samstag sind es vielleicht 40 Emos, manchmal kommen mehr. Yvonne, die seit einem Jahr dabei ist, sagt, sie sei eine der Ältesten.

Warum gerade der Bahnhofsvorplatz? „Das ist halt zentral“, sagt Wiebke, die Schulter an Schulter neben Yvonne auf einem grauen Steinwürfel hockt. Die 15-Jährige beugt sich vor und nimmt eine Kirsche aus einer Schale, die auf Yvonnes Schoss steht. Schwarz-weiß karierte Röckchen, dunkel geschminkte Augen und blasses Make-up. So machen sich Emos hübsch.

„Emo“ steht für das Musikgenre „Emocore“ oder „Emotional Hardcore“, das in den 1990er Jahren aufkam. Vornehmlich in den USA spalteten sich Bands von der Hardcore- / Punk-Bewegung ab und versahen die Musik mit melodiöseren Elementen, die Texte handeln von persönlichen Themen wie Zweifeln oder Liebesleid. Heute sind es Gruppen wie „Funeral for a friend“ oder „My Chemical Romance“, die sich mit Liedern wie „Cemetery Drive“ oder „Roses for the Dead“ morbide geben.

Um die Musik hat sich eine Jugendszene entwickelt, die vor allem durch ihre Ästhetik auffällt und mittlerweile das Angebot der gängigen Modeketten prägt. Jungen wie Mädchen tragen meist enge Röhrenjeans, Kapuzenjacken mit Karos oder Pünktchen, Vans-Sneaker oder Chucks an den Füßen. Die Haarfarbe Schwarz dominiert, kombiniert mit lila, blauen oder grünen Strähnen. Emo-Markenzeichen ist der lange Pony, der bis in die Augen reicht. Die werden – teils auch bei den androgyn wirkenden Jungen – schwarz geschminkt. Die Szene greift Elemente von Bewegungen wie Punk, Gothic, Metal oder Rockabilly auf. Immer häufiger tauchen auch Elemente der Visual Kei-Szene auf, deren Wurzeln in japanischen Manga-Comics liegen. Nicht selten wird eine lolitahafte Schuluniform mit pinkem Mundschutz kombiniert.

Die zitatfreudige Emo-Szene ist äußerst unbeliebt. „Es ist extrem, wie sehr sie den Hass anderer Jugendlicher auf sich zieht“, sagt Jugendforscher Höhn „Das geht von Hip-Hoppern, Punks bis zu Gothics.“ Vor allem männliche Emos werden angefeindet. Und als verweichlicht und homosexuell (in diesem Kontext eine Beleidigung) beschimpft. „Ein Missverständnis“, so Höhn. Schönheitsideale werden bei den Emos umgekehrt, Männlichkeit werde nicht so sehr zum Ausdruck gebracht. Emos sind besonders im Internet beliebte Feindbilder. In Foren kursieren derbe Witze, Videos mit Emo-Hass-Liedern werden hochgeladen. Die Webseite „Damnemos“ fordert BesucherInnen gar auf, die Petition „Deine Stimme gegen Emos“ zum Start einer Bundesinitiative zu unterzeichnen. Im Shop werden T-Shirts mit dem Aufdruck „Kill Emo“ und einem Galgenstrick angeboten. Satire soll das sein, schreiben die Macher der Homepage.

Auf dem Bahnhofsvorplatz ist es friedlich an diesem Samstag. Eine Gruppe Punks sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, umkreist von zwei Hunden. Von der Immendorf-Affenskulptur schallt Hip-Hop-Musik. Einige Jungs in weiten Hosen zeigen sich ihre Breakdance-Moves, zwischendrin immer wieder Jungen und Mädchen, ähnlich aufgemacht wie Yvonne und Wiebke. Sie stehen in Grüppchen zusammen oder hocken auf dem Boden, quatschen und rauchen. Eine Flasche Fruchtsekt der Geschmacksrichtung Exotik wird herumgereicht. Ansonsten passiert wenig. So friedlich sei es nicht immer, erklären Yvonne und Wiebke über ihren Kirschen. Und berichten von Eltern, die ihre Kinder mit den Worten „Geh’ da weg, das ist ein Teufel“ von ihnen fern halten. Auch Jugendliche reagierten oft negativ. „An meiner Schule bin ich die Einzige, die so rumläuft“, erzählt Wiebke. Da hagele es ständig dumme Sprüche.

Eine Ursache für Anfeindungen sieht Höhn in den Themen, mit denen sich die Emo-Szene beschäftigt. Während Punks sich als Gegenkultur mit anarchisch bis zerstörerischer Protesthaltung geben und Hip-Hopper soziale Missstände anprangern, gelten die introvertierten Emos als völlig unpolitisch. „Da dreht sich alles ums Individuum“, so Höhn. „Ängste, Selbstzweifel oder Trauer sind Themen, die Jugendliche bei ihrer Identitätssuche beschäftigen. In anderen Szenen werden die aber eher totgeschwiegen“. Die Emo-Szene richte sich mit ihren Themen gegen den Druck, dass immer „alles gut und rosig“ sein müsse und löse damit aggressive Reaktionen aus. Das Vorurteil, Emos neigten zu selbstzerstörerischem Verhalten, ist für ihn ein „Klischee“. „Solches Verhalten gibt es bei Jugendlichen in vielen Szenen, dort wird es nur nicht thematisiert“, sagt er.

Die Streetworkerin Ute Hecht vom „Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit“ problematisiert die Emo-Szene durchaus. „Wir bekommen dort mit, dass es unter den Emos eine Kerngruppe sehr junger, stark gefährdeter Jugendlicher gibt“, sagt sie. Nicht nur exzessiver Alkoholkonsum, eben auch selbstverletzendes Verhalten sei in Teilen der Szene auffällig verbreitet. Sie sieht die Gefahr, dass die Jugendlichen abrutschen, wenn es zu persönlichen Krisen kommt. Um das zu vermeiden, bestehe Bedarf an Angeboten aufsuchender Jugendarbeit, die sich speziell an die Emo-Szene richten. „Das wird auch von Seiten der Schulen und von behördlicher Seite an uns herangetragen“, sagt Hecht.

Yvonne und Wiebke wollen ihre Szene nicht auf Problemfälle reduzieren lassen, betonen, wie viel Spaß sie miteinander haben. „Jeder Mensch ist irgendwann mal unglücklich und ihm geht’s nicht so gut. Hier ist man dann nicht gleich ein Weichei“, sagt Wiebke. Yvonnes Freund kommt vorbei. Der schlaksige Junge beugt sich zu ihr runter, schiebt den Pony aus den Augen und drückt ihr einen Kuss auf den Mund. Er nimmt sich eine Handvoll Kirschen aus der Schale auf ihrem Schoss und zieht weiter. „Außerdem finde ich es positiv, wenn Jungs Gefühle zeigen können“, meint Yvonne.

Die Szene am Bahnhof wächst. Immer jüngere Emos kommen hinzu, manche 13, manche 14 Jahre alt. Hängen ab, manche betrinken sich. Emo-Sein ist Mode geworden, in der „Bravo“ finden sie detaillierte Anleitungen, wie sie sich zu stylen haben. Viele der Älteren kämen mittlerweile gar nicht mehr zum Treff am Bahnhof, berichten Wiebke und Yvonne. „Denen hängen hier zu viele Wanna-Be’s rum“, meint Yvonne. Ihr Freund ruft rüber, ihm sei langweilig und Hunger habe er auch. Yvonne packt die Schale mit den letzten Kirschen in ihre Tasche. Sie nickt Wiebke zu, die beiden stehen auf. Zu „McDonald’s“ gleich um die Ecke wollen sie. Ist ja zentral hier.