■ Das „Stjärntrio“ gibt plumper Schlagernostalgie keine Chance: Schwedenpop feiert seinen Vierzigsten
Das Menü ist lang: mit Lachs und Ren, Sorbet und Kaffee. Doch pünktlich um halb elf sind die letzten Teller im exklusiven Stockholmer Nachtclub „Börsen“ abgeräumt, und der Vorhang hebt sich zum eigentlichen Dessert. Drei Frauen fahren in automatischen Rollstühlen auf die Bühne, verpackt in grobe Decken und häßliche Kopftücher. Sie zicken rum, giften sich an, und keine läßt ein gutes Haar an der anderen. Bis die Musik einsetzt, live eingespielt von einer Band auf zwei Etagen im Hintergrund. Da fliegt die Verkleidung weg, drei Stars stehen da in Silberlamé und Schwarz und fetzen los: „Girls just wanna have fun.“ Auf den Cyndie-Lauper-Hit folgt ein Madonna-Cover „Express yourself“, diesmal als Rollstuhlballett. In halsbrecherischem Tempo rasen die drei über die Bretter in akkurater Choreographie, so, als gäbe es Kilometergeld.
Die Stars, das sind Barbro Svensson, Ann-Louise Hanson und Siw Malmkvist. Sie geben vor, mit dieser Show ihr jeweils 40jähriges Bühnenjubiläum zu feiern, doch wenn man sie jetzt bei der Arbeit erlebt, mag man nicht so recht glauben, daß der Beginn ihrer Karrieren weit zurückreicht in die Tiefen der fünfziger Jahre. Aber es ist wahr. Als die drei in den sechziger Jahren auch hierzulande reüssierten, hatten sie in ihrer Heimat schon den ersten Zenit des Erfolges überschritten. In Deutschland gehörten sie damals – jede für sich – zu den Protagonistinnen der legendären Skandinavienimporte und mußten blond sein, ein bißchen kess und sexy. Die Hanson sang sich 1962 – bar jeder geographischen Kenntnis – mit „Ein Schiff fuhr nach Santiago de Chile“ in die deutschen Charts, Frau Svensson machte unter ihrem Künstlernamen Lill-Babs vor allem als Verlobte von Peter Kraus Schlagzeilen, und der smash-hit „Liebeskummer lohnt sich nicht“ von Siw Malmkvist gehört zum Kulturerbe der deutschen Schlagergeschichte.
Natürlich steht jetzt auch diese Ära der großen Erfolge im Mittelpunkt der Show des „Stjärntrios“. Doch der plumpen Nostalgie geben sie keine Chance, jede Nummer von einst wird erbarmungslos zersungen, verkalauert und in unverdauliche Stücke gerissen: Die Ladies wissen, was sich gehört. Und sie wissen, was sie noch alles können. Nämlich tatsächlich singen und tanzen und schauspielern und kabarettistische Einlagen servieren vom Feinsten. Da nimmt sich die Svensson den Marianne- Faithful-Song „Lucy Jordan“ und macht daraus ein Kammerspiel; Siw Malmkvist – in Schweden nur zärtlich Siwan genannt – schmeißt ihre Beine so gekonnt wie einst und läßt mit ihren 59 Jahren selbst den Spagat nicht aus; und Ann- Louise Hanson bringt in einer Doppelrolle den König und eine gewisse Silvia Sommerlath zueinander, daß das Publikum nur so johlt. Schließlich gehört die importierte Landesmutter nicht zu den Beliebtesten im Lande, und jeder Witz über sie und ihren tumben Ehemann ist eine Erlösung. Und nach jedem Solo finden die drei wieder zueinander, albern rum und haben soviel Spaß, daß sich dem kein Zuschauer entziehen kann.
Der Erfolg der Show ist phänomenal, schon im Frühjahr lief sie drei Monate en suite im noblen „Börsen“-Interieur, damals noch mit Wencke Myhre aus Norwegen, die für die Wintermonate ersetzt wurde durch Ann-Louise Hanson. Das schwedische Fernsehen hat das Zwei-Stunden-Programm inzwischen in voller Länge aufgezeichnet, und im Januar 1996 ist ein Abstecher nach Malmö geplant. Hinterher in der Garderobe können die drei sich noch immer nicht halten vor Lachen: „Das macht so viel Spaß“, quietscht Lill-Babs, „ich könnte sofort wieder auf die Bühne.“ Die drei haben ihre Erfahrungen mit dem deutschen Schlagerbusineß, und Siw Malmkvist ist überzeugt, daß eine solche Show hier unmöglich wäre: „Ich darf nur ,Liebeskummer lohnt sich nicht‘ singen, immer wieder. Das ist doch furchtbar. Ich will das nicht mehr. Denn ich kann viel mehr als ,Liebeskummer‘, ich kann alles.“ Sie strotzt vor Selbstbewußtsein und versucht, die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden zu erklären: „Hier haben wir seit jeher Auftrittsmöglichkeiten in solchen Restaurants wie die ,Börsen‘. Wenn ich in Deutschland erzählt habe, ich singe in einem Restaurant, dann dachten die immer gleich an Bierzelt und ,Ein Prosit der Gemütlichkeit‘.“ Lill- Babs fährt dazwischen: „Wir haben gelernt, mit dem Publikum zu arbeiten. Wir hatten immer unsere Shows auf der Bühne, mit großer Treppe, und da geht es runter, nah ran an die Leute.“ Sie erzählt von früher, wie sie alle angefangen haben in den Vergnügungsparks, die es überall gibt im Land: „Da lernt man dann – step by step –, wie man sich auf der Bühne bewegt, wie man das Publikum unterhält. Wir mußten singen, tanzen, unsere Witze machen. Entertainment! Und wir sind aufgetreten mit Bands, mit Orchestern, das war unsere Schule.“
Hierin, glaubt sie, liegt auch der Grund, warum sie reihenweise nach Deutschland exportiert wurden: „Wir konnten unser Handwerk, deshalb hat man uns geholt. Die deutschen Künstler hatten große Hits auf Schallplatten, aber standen noch nie auf einer Bühne.“ Und blond, kess und sexy? „Das war unser Image. Aber wenn Sex gleichgesetzt wird mit Persönlichkeit, dann ist's o.k. Ich habe Persönlichkeit!“
Inzwischen füllt sich die Garderobe, immer mehr Frauen kommen, um den dreien die Hand zu schütteln. Eine Freundin ist extra für den Abend aus München eingeflogen: „Was für Frauen!“ strahlt sie, „was für 'ne Power, und soviel Energie!“ Sie ist begeistert und überlegt laut, die drei Entertainerinnen wieder nach Deutschland zu holen mit dieser Show. „Aber wo sollen sie auftreten? Im Bayerischen Hof vielleicht?“ Sie lacht. „In Deutschland gibt es für soviel Qualität einfach keinen Platz.“ Man muß es bedauern, denn sie hat recht. Elmar Kraushaar
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