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Das SchlaglochFreiwillige Unterwerfung

Kolumne
von Kerstin Decker

Warum es sich lohnt, bei Lou Andreas-Salomé Islamunterricht zu nehmen.

Früher war es so einfach zu wissen, wer man ist: "Die Vorzüglichsten unter den Menschen sind die Araber, unter diesen die Modarstämme, unter diesen die Kejsiten, unter diesen die Sippe der Iasur, unter diesen die Familie Ganijj, und unter den Ganijj bin ich selbst der Vorzüglichste. Also bin ich der Vorzüglichste unter den Menschen." So sprach Abu Rabi in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts.

Etwas von der Zuversicht eines Abu Rabi braucht wohl jeder, erst recht, wenn er jung ist. Und die jungen Männer brauchen es, so sagt man, ganz besonders. Und unter diesen, so sagt man auch, besonders die Neuköllner und Kreuzberger jungen Männer. Meist klingt das wie ein Vorwurf.

Kerstin Decker

ist freie Autorin und lebt in Berlin. Zusammen mit Gunnar Decker schrieb sie das Buch "Über die unentwickelte Kunst, ungeteilt zu erben. Eine Deutschstunde", erschienen 2009 im Dietz Verlag.

Am vorläufigen Ende der ganzen Entwicklung, die man auch Zivilisationsprozess nennt, weiß der Mensch zwar sehr vieles: Nur wer er ist, kann er kaum mehr sagen. Er ist vor allem eins: voll unbestimmt. Werdet gute Demokraten!, lautet die Aufforderung an alle. Aber ist das wirklich eine Identität? Anders gefragt: Ist es nicht eher eine Sekundär- als eine Primäridentität?

Die Zivilisation ist zuerst und zuletzt eine Unterwerfung des Einzelnen. Das lässt sich kaum besser illustrieren als an der Geschichte des Islam, genauer: an seiner Vorgeschichte. Der Sommer ist eine gute Jahreszeit für Aus- und Abschweifungen aller Art. Wagen wir also die These: Die alten Araber waren das Muttervolk, oder nein, das Vatervolk der Freiheit!

Abu Rabi lebte lange vor Mohammed. Man hat ihm und seinem Volk lange jede religiöse Begabung bestritten. Denn die alten Araber, so lautete der Konsens, seien das irreligiöseste Volk unter der Sonne gewesen. Weshalb es notwendigerweise schwierig wurde, als es eine Religion übergestülpt bekam, die in nichts zu dem passte, was es bisher von sich gewusst und geglaubt hatte. Nein, geglaubt hatte es eben noch nie.

Es war eine Frau, die vor mehr als einhundert Jahren die religiöse Begabung der vorislamischen arabischen Welt bemerkte. Und zwar als Fähigkeit zur Selbstvergottung! Lou Andreas-Salomé erkannte dieses Talent ausdrücklich an: "Die vornehmste Eigenschaft des Verhältnisses zwischen Menschen und Göttern, jene naive Intimität, in der der kraft- und lebensvolle Egoismus des Einzelnen und seines Stammes geheiligt und verklärt erschien, musste zu Gunsten einer Kultur zu Grunde gehen, die zwar die rohesten Formen des Aberglaubens und die engsten Scheidewände zwischen Mensch und Mensch, aber auch die höchste menschliche Selbstherrlichkeit zerbrach, die es vielleicht je auf Erden gegeben hat." Das ist doch eine Wahrnehmung! Und zudem von einer Frau - zu einer Zeit, da noch fast niemand ernsthaft glaubte, dass eine wie sie überhaupt möglich ist: Lou Andreas-Salomé, Deutschlands erste Intellektuelle!

Es ist überaus interessant, bei ihr Islamunterricht zu nehmen, denn sie konnte etwas, was wir zunehmend verlernen: mit vielen Augen zugleich auf einen Gegenstand sehen. Nur die Fortschritte erkennen zu wollen, macht blind für die Rückschritte, die sich in den Fortschritten einkapseln.

Die alten Araber wussten nichts von einem Gebet oder einer Seele. Ist das Gebet nicht seinem innersten Wesen nach Selbstdemütigung? Und dann auch noch, um von einem anderen etwas zu erreichen? So gab es auch kein Wort für diese Neuerung, als Mohammed sie einführen wollte, er musste sie dem Christentum entnehmen. Und was um Himmels Willen sollten sich die alten Araber unter einer Seele vorstellen? Sie brauchten nicht die Seelen ihrer Ahnen verehren, sie trugen ihre Ahnen immer bei sich, nämlich im eigenen Blut; ihr eigener Rang, ihr Ansehen hatten sie ihnen zu verdanken. Die Pflicht zur Blutrache liegt unter diesen Umständen auf der Hand. Das altarabische Wort nasab bedeutete "Aufzählung der ruhmreichen Taten der Ahnen." Das Einzige, was hier anzubeten war, waren demnach sie selbst. Und ein starkes Selbst darf sich schon um seiner weiteren Stärkung willen keinen Genuss versagen: "Gib mir, o Freund, Wein zu trinken!" Nach Mohammed lautete der Vorsatz dann: "Gib mir, o Freund, Wein zu trinken; wohl weiß ich, was Gott über den Wein geoffenbart hat. Dennoch trinke ich ihn in aller Frühe mit vollen Zügen."

Die Religionswissenschaft hat immer ein wenig hochmütig auf Mohammed geblickt. Eine derart von den Nachbarn geklaute Religion zu verkünden! Die erste deutsche Intellektuelle sah das ein wenig anders: "Keiner vor ihm hat je eine Offenbarung zu Stande gebracht, die sich so außer allem Zusammenhang mit der Anschauungsweise seines Volkes befunden hätte." 50 Gebete täglich hatte Gott zuerst angeordnet. Auf fünf konnte Mohammed ihn schließlich herunterhandeln, als Moses noch immer Bedenken hatte: Fünf? Würde dieses Volk wirklich so viele schaffen?

Es musste. Schon damals war letztendlich die Globalisierung schuld. So viele Flüchtlinge und entlaufene Sklaven gab es irgendwann in Medina, die hatten keinen Stamm, zu dem sie gehörten und der sie beschützte. Die hatten auch keinerlei Verdienstmöglichkeit, wenn man von der Möglichkeit absah, die Karawanen zu überfallen, die von Mekka kamen. Und sie beschlossen, von dieser Möglichkeit keinesfalls abzusehen. Medina war die erste Stadt, die sich zum Propheten Mohammed bekannte.

Alle Menschen, alle Völker sind gleich, sagt der Islam. Vor allem, nachdem er sie unterworfen hatte. Die Karawanen von Mekka waren nur der Anfang. So schien den Wüstensöhnen ihre neue Religion mit dem so unpassenden Gott gleich viel vertrauter.

Anderen Völkern war von Anfang an viel unterwerfungswilliger, viel unfreiheitlicher zu Mute. Den alten Arabern aber, diesem - sagen wir - Urvolk der Freiheit, fiel es am schwersten, das Gesicht statt in den freien Wüstenwind einem Gott entgegenzuhalten und die Augen vor ihm niederzuschlagen. Sollte es mit einer solchen Vorgeschichte nicht eine besondere Begabung zur Demokratie haben, die doch nichts anderes ist als freiwillige Selbstbeschränkung aus Stärke?

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2 Kommentare

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  • M
    Moritz

    „Die alten Araber wussten nichts von einem Gebet oder einer Seele. Ist das Gebet nicht seinem innersten Wesen nach Selbstdemütigung?"

     

    Nichts als Behauptungen die an der eigentlichen Realität vorbeigehen. Die alten Araber glaubten an hunderte von Göttern, und sie beteten diese Götter u. a. in Mekka an. Der Glaube des Zoroastrismus, Judentum, Christentum war weithin bekannt und verbreitet. Frau Decker scheint in ihrer Bewunderung dem Glauben zu verfallen, dass Lou Andreas-Salomé im Arabien um 570 n. C. gelebt hat.

     

    „So gab es auch kein Wort für diese Neuerung, als Mohammed sie einführen wollte, er musste sie dem Christentum entnehmen. Und was um Himmels Willen sollten sich die alten Araber unter einer Seele vorstellen?"

     

    Geschichtlich ist diese Aussagen schlicht Unsinn. Mohammed hat sich nicht an den Christen, sondern an den Juden orientiert. Darum haben die ersten Muslime auch regelmäßig in der Thora gelesen. Auch hat Mohammed viele Jahre unter bzw. mit Juden gelebt.

     

    „Die Pflicht zur Blutrache liegt unter diesen Umständen auf der Hand. Das altarabische Wort nasab bedeutete "Aufzählung der ruhmreichen Taten der Ahnen."“

     

    Blutrache war weltweit verbreitet und bekannt, von den Wikingern bis zu den Indianern und Römern. Da die Araber gesellschaftlich von ihrem Clan stark abhängig waren, ist diese Blutrache hier besonders gepflegt worden.

     

    Generell wird viel Unsinn über den Islam erzählt, leider auch von Muslimen selbst. Mohammed und die ersten Muslime galten damals als feministische Bewegung. Vor Mohammed war es undenkbar, dass Frauen sich scheiden lassen dürfen oder auch Erben können. Die ersten Muslime waren auch nicht verschleiert. Die Sure die heute immer wieder angeführt wird; "Oh Prophet, sage deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunterziehen. Das ist eher geeignet, dass sie als freie, ehrbare Frauen erkannt und nicht belästigt werden.", bezieht sich ausschließlich auf die Ehefrauen und Töchter von Mohammed. Er war eine wichtige und bekannte Persönlichkeit und man wollte nicht, dass seine Frauen und Töchter von den zahlreichen Besuchern belästigt wurden. Außerdem war das Verschleiern ein Brauch von Adligen aus dem alten Syrien und Persien. In dieser Zeit galt das Räubertum als fast normale Berufsrichtung. Da die reichen und wichtigen Leute auch oftmals die schönsten Frauen hatten, wollte man keine Räuber und Vergewaltiger anlocken. In den ersten zweihundert Jahren nach Mohammed waren die normalen muslimischen Frauen daher auch nicht verschleiert. Auch wenn man es nicht glauben möchte, aber die konservativen arabischen Traditionen haben den Islam mehr geprägt als der Islam die konservativen Araber.

  • UW
    Ursula Welsch

    Es ist wirklich eine Freude, dass Lou Andreas-Salomé in diesem Artikel als "erste Intellektuelle" Deutschlands bezeichnet wird - nach all dem Musen- und Verführeringestammel ...

    Das intellektuelle Lebenswerk von Lou A-S - nämlich die Aufsätze und Essays, u.a. auch der hier zitierte "Über das Problem des Islam", werden gerade neu herausgegeben von Prof. Hans-Rüdiger Schwab in der MedienEdition Welsch: http://www.medienedition.de/lou-andreas-salome