Das Problem der Singles. Das Problem der Familien.: Falsche Schlussfolgerungen
betr.: „Singles sind unschuldig“, taz vom 12. 5. 01
[...] Das Lebensalter steigt, aber auch die Gesundheit. Damit kann man auch in höherem Alter arbeiten. Und das muss man auch, wenn man – wie geschildert – keine Bevölkerungsexplosion erzeugen möchte. Mit einer längeren Lebensarbeitszeit sollten sich also die aus der Veränderung der Alterspyramide entstehenden Probleme lösen oder zumindest mindern lassen. [...]
Trotzdem bin ich weiterhin dafür, Familien mit Kindern stärker zu unterstützen, wohl oder übel auf Kosten der Kinderlosen. Nach wie vor ist es eine erhebliche finanzielle und organisatorische Anstrengung, Kinder aufzuziehen, gleichzeitig eine gesellschaftlich sehr wertvolle Aufgabe. Neben stärkerer finanzieller Unterstützung muss es viel mehr Möglichkeiten geben, Arbeit und Kindererziehung kombinieren zu können, auch und gerade für qualifiziertere Arbeitsplätze.
ALEXANDER HARTMANN, Santa Cruz, USA
Das Insel-Modell von Bernd Kittlaus ist bei Ökonomen als Overlapping-Generations-Modell bekannt. Leider hat Herr Kittlaus die falschen Schlussfolgerungen aus seinem Modell gezogen.
Es ist allgemein bekannt, dass in diesem Modell eine einmalige Steigerung der Lebenserwartungen (z. B. von 60 auf 80 Jahren) die Bevölkerungszahl und das Durchschnittalter proportional anheben. Allerdings ist die Bevölkerung danach stabil. Steigende Lebenserwartung aufgrund besserer Gesundheit bedeutet normalerweise auch, dass Menschen entsprechend länger arbeiten können. Wenn also das Rentenalter proportional zur Lebenserwartung angehoben wird, ergeben sich überhaupt keine Probleme durch eine steigende Lebenserwartung. Dasselbe Resultat ergibt sich, wenn die Lebenserwartung kontinuierlich steigt.
Die Lebenserwartung der Menschen ist immerhin schon seit mehr als 100 Jahren kontinuierlich angestiegen ohne Probleme zu verursachen. [...]
Im Gegensatz ist die sinkende Geburtenrate ein modernes Phänomen. Im Generationenmodell hat solch eine Entwicklung zwangsläufig langfristig katastrophale Folgen. Eine Bevölkerung stirbt aus, sobald die Geburtenzahl deutlich unter zwei pro Frau sinkt. Mit jeder Generation steigt das Durchschnittsalter der Bevölkerung, bis am Ende nur noch Greise übrig sind.
Steigende Lebenserwartung führt daher allenfalls zu kurzfristigen Problemen, während eine sinkende Geburtenzahl langfristige Probleme mit sich bringt. Da würde es auch nichts helfen, Beamte und andere Gruppen in die Rentenversicherung einzubeziehen oder sie durch Steuern zu finanzieren. Am Ende sind einfach keine Arbeiter mehr vorhanden, um die Renten der Alten zu finanzieren.
Aus diesem Grund haben Länder wie Frankreich und die USA auch noch relativ geringe Probleme mit ihren umlagefinanzierten Rentenversicherungssystemen. Beide Länder haben noch eine hohe Geburtenrate und müssen das System nur an die steigende Lebenserwartung anpassen. MARKUS MOBIUS, Cambridge, USA
Das müssen aber eher Genetik-Studenten als gestandene Genetiker sein, die auf den Inseln A, B und C experimentieren. Spannend ist es nämlich erst auf Insel D wie Dolly. Dort hat man den Menschen zwar die Gonaden genommen, aber dafür das ewige Leben gegeben. Und nun? Nun wird sich die Inselgemeinschaft überlegen müssen, wie viel ein jeder arbeiten muss, um selbst (gut) durchzukommen und die für kommun gehaltenen Aufgaben zu finanzieren. Vielleicht gibt es nur noch Teilzeit-Insulaner, vielleicht gönnt man sich regelmäßig ein Sabbatjahr, vielleicht müssen aber auch alle einfach ihr ewiges Leben lang hart arbeiten. Und das trifft die Realität noch besser als Insel C.
Denn die steigende Lebenserwartung bringt uns nur zum Teil wirklich höhere Kosten einer Altersversorgung. In erster Linie beschert sie uns eine immer größere Gruppe Mneschen, die topfit für sich beschließen, genug gearbeitet zu haben, und fortan auf der noch viel schöneren Insel M wie Mallorca leben zu wollen. „Überaltert“ wäre die Gesellschaft erst dann, wenn zu viele Menschen nicht mehr in der Lage wären, sich aktiv an der Gesellschaft in welcher Form auch immer zu beteiligen. Das ist heute beileibe noch nicht der Fall.
So aber klaubt jeder zusammen, was er kriegen kann, um mit spätestens 60 in den Sack zu hauen. Da sind die Singles zwar an nichts schuld, aber natürlich gegenüber Familien weit im Vorteil. Weil die Sozialabgaben der Doppelverdiener-Paare oder Vollverdiener-Singles eben nicht ansatzweise dem finanziellen Betrag entspricht, den eine Familie zum Beispiel durch die Freistellung eines Elternteils von der Erwerbsarbeit zum Zwecke der Sprösslingshege leistet.
Gerade anhand der – völlig egal ob gewollt oder ungewollt – Kinderlosen, die also gar keinen Generationenvertrag mit Nachkommen eingehen können, wird doch das Rentenproblem auch dem Nicht-Wirtschaftler deutlich: die Lebenserwartung eines heute geborenen Mädchens liegt bei 80 Jahren. Bleibt diese Frau kinderlos und will nach Studium und verschiedenen Praktika nur von 30 bis 60 arbeiten, muss sie allein für ihre Altersversorgung – bei gleich bleibenden Ansprüchen – neben dem, was sie zum Leben haben möchte, noch mal zwei Drittel extra verdienen und zur Seite legen. Dabei hat ihr dann die Sozialgemeinschaft noch nicht die unterbliebene Refinanzierung des Investments ihrer Eltern berechnet. Zieht hingegen eine Partnerin der Frau Kinder auf und bekommt danach wegen angeblicher Überalterung auch keinen Job mehr, müssten 30 Erwerbsjahre ausreichen, um in der Summe 100 Lebensjahre plus die vorübergehende Versorgung der Kinder zu finanzieren.
Natürlich sind also die Singles „unschuldig“. Das Problem der Singles ist, viel zu früh in Rente gehen zu wollen. Und das Problem der Familien ist, Kinder zu haben. TIMO RIEG, Bochum
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