piwik no script img

■ Das PortraitAnatolij Karpow

Anatolij Karpow ist Schachspieler und ein „Hans im Glück“. Im holländischen Zwolle tritt er heute gegen den Niederländer Jan Timman um die Krone des Weltmeisters an, obwohl er in der ursprünglichen Qualifikation gescheitert war. Nur dem Umstand, daß der amtierende Titelträger Garri Kasparow sich mit dem Weltschachverband FIDE zerstritt, verdankt Karpow seine Chance. Für ihn eine glückliche Fügung, da der Preisfonds mit über 4 Mill. Mark neue Rekordhöhen erreicht.

Karpow war stets zur rechten Zeit am rechten Ort und kann auf eine Sammlung kurios erworbener WM-Titel zurückblicken. Schon zu Beginn seiner Karriere bestieg „Tolja“ 1975 kampflos den Thron der Schachgöttin Caissa. Inmitten seines kometenhaften Aufstiegs blieb ihm das Finale eines Weltmeisterschaftskampfes versagt, da sein Kontrahent, der exzentrische Amerikaner Bobby Fischer, seinen Titel nicht verteidigte. Zwar ist das kaum Karpow anzulasten, doch trug er noch lange an dem Stigma „Weltmeister von Bobbys Gnaden“. „Weltmeister von Camponanes Gnaden“ schimpfte ihn die Fachwelt 1985. Der Karpow-Freund und FIDE-Präsident Florencio Camponanes hatte zuvor das fast fünf Monate dauernde Duell zwischen Karpow und Kasparow abgebrochen. Wie viele meinten, um Tolja vor dem nahen physischen Zusammenbruch und der Aufgabe zu bewahren. Erst in der Neuaufnahme des Wettkampfs errang Kasparow den Titel. Solche Ungereimtheiten trüben jedoch den Blick dafür, daß Karpow von 1975bis 1985 unbestritten der beste seiner Zunft war. 1951 in Slatoust im Ural geboren, zeichnete er sich schon mit 14 Jahren durch seinen gänzlich unkindlichen Ernst aus. Seine Spielweise wurde als „langsam und etwas müde“ empfunden. Doch hierin lag eben seine Stärke. Die Willenskraft Karpows brach jeden Widerstand. Statements wie „Ich habe keinen Stil“

Tolja im Glück Foto: Reuter

beendeten zudem schnell alles Suchen nach Extravaganzen, die die Welt von einem Schachweltmeister erwartet. Auch Karpows Hobbys geben wenig her: „leichte klassische Musik“ und Briefmarkensammeln. Mit dem Preisgeld des neuen Wettkampfs in Zwolle wird er sich ein paar neue Postwertzeichen kaufen können. Zudem wird es helfen, den Verlust seiner ehemals heimlich im Westen deponierten Devisen zu überwinden. Ulrich Hinz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen