■ Das Portrait: Giulietta Masina
Giulietta Masina in einer Skizze von Fellini zu La Strada Abb.: Interbook Verlag
„Eine Person, die gewöhnlich in Panik gerät, wenn ich zu Beginn eines Filmes, in dem sie mitwirkt, am Abend vorher meine Filzstifte und weißen Papierbögen hervorhole und anfange, Männchen zu malen, ist meine Frau Giulietta Masina. Ich habe ihr nichts über den Film gesagt. Sie hat mich nicht gefragt. Sie wartet, vertrauensvoll und geduldig... Giulietta setzt meiner Art, sie zu sehen, beträchtlichen Widerstand entgegen. Sie betrachtet sie wahrscheinlich nicht als Ergebnis meiner Liebe zu ihr oder der Erfahrungen, die ich in beruflicher Hinsicht mit ihr gemacht habe, sondern als autoritäre Zumutung eines Gatten, der blind seinen Launen folgt. Wie viele Schauspieler weiß Giulietta nicht, wie begabt sie ist; sie will nicht zugeben, daß ihr eigentliches Talent komödiantischer Natur ist; daß das, was sie so einzigartig macht, genau jenes Zusammenspiel von Spaß und Ernst ist, das ihr Clownsgesicht zur gleichen Zeit ausdrücken kann. Giulietta, die eine echte Schauspielerin ist, möchte immer das Gegenteil der Rolle sein, die ich mit ihr ausarbeite. Neben der energiegeladenen, kooperativen, hart arbeitenden Giulietta scheint es eine andere zu geben, eine, die nein sagt und mich in dieselbe Verwirrung stürzt, die Walt Disney empfunden haben würde, wenn Mickey Mouse zu ihm gesagt hätte: ,Ich möchte Robert Taylor sein.‘
Die Rolle, die sie am wenigsten mochte, war die Gelsomina in ,La strada‘, mit der sie die Herzen so vieler Menschen gewann und an die man sich nach all den Jahren noch mit soviel Liebe erinnert. Wie alle Schauspielerinnen möchte Giulietta gern die große Heldin spielen ... doch wie ich es sehe, ist sie am besten in kindlichen, schelmischen, spaßigen oder rührenden Rollen.“
Federico Fellini über seine Frau Giulietta Masina, die gestern im Alter von 73 Jahren in Rom gestorben ist, nicht einmal ein Jahr nach ihrem Mann. Sie hat ihn mitten im Krieg kennengelernt, und sie haben im besetzten Rom geheiratet, nachdem die Archäologiestudentin noch mit einer Operettentruppe auf Tournee gewesen war. Ohne sie wären „La Strada“, „Nächte der Cabiria“ oder „Julia und die Geister“ und schließlich „Ginger und Fred“ undenkbar gewesen.
Aus: „Cinecittà – Meine Filme und ich“, Interbook Verlagsgesellschaft, Hamburg, 1988
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