■ Das Portrait: Hermann Henselmann
Vater der Stalinallee Foto: Archiv für Kunst und Geschichte
Es gibt nicht wenige, die den Architekten Hermann Henselmann für größenwahnsinnig, wenn nicht zutiefst gespalten hielten. „Pöppelmann, Thomas Mann, Henselmann“, pflegte er sich einmal vorzustellen und tat zu der selbstgewählten Ahnenreihe den Abgrund seiner Seele auf. Diese war voll schwarzem Humor, voll Arroganz und Machtbesessenheit. Schlau diente der DDR- Staatsarchitekt als Erfüllungsgehilfe den Oberen: „Ulbricht habe ich den schlechten Geschack abgewöhnt.“ Frech verhielt er sich nach unten. „Sie hat die Muse erst geküßt, als sie meine Pläne sahen“, sagte er einem Kollegen. In Wirklichkeit wollte er nur eines: „Ich bin Architekt, Architekt und nochmals Architekt.“
Dafür tat er alles, der Visionär und Egomane Henselmann. In den 20er Jahren orientierte er sich am Weltbild der radikalen Moderne. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Henselmann in Ost-Berlin Lehmhäuser – und, so die Legende, verjubelte den Nationalpreis auf dem Ku'damm. Ab 1950 prägte er den öffentlichen Raum und den Baustil der DDR. In Anlehnung an das „nationale Erbe“ der Schinkelzeit einerseits und den Zuckerbäckerstil der „brüderlichen“ Sowjetunion andererseits entstanden die Stalinallee (die erste „sozialistische Straße“) und das Hochhaus an der Weberwiese. Ästhetische Kampfansagen an das Bauhaus dagegen bilden die Turmhäuser am Strausberger Tor (Berlin).
Kaum fünf Jahre später entwarf er modern und funktionalistisch: Die Kongreßhalle am Alexanderplatz ist von einem leichten Glaskubus gerahmt. Das zentrale Hochhaus in Leipzig und der Entwurf zum Berliner Fernsehturm, in dessen Fußbau „Das Kapital“ von Marx ausgestellt werden sollte, streben modern-schnittig in den Himmel.
„Das Reich der Freiheit wollten wir bauen“, erzählte der Brecht-Freund gern; auch nach dem Fall der Mauer. Noch bis heute verzeihen ihm viele Kollegen nicht den Drang und die Nähe zum „Innersten der Macht“ (H.H.). 1991 lehnte ihn die Hamburger Akademie der Künste als Ehrenmitglied ab. Henselmann, der „nur“ Architekt gewesen sein wollte, fühlte sich falsch verstanden. Auch deshalb, weil er in Berlin wieder im Aufwind war, man ihn des preußischen Stils wegen hofierte. Der Wind unter den Flügeln brach ab. Gestern starb Hermann Henselmann 90jährig an einem Herzinfarkt. Rolf Lautenschläger
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