■ Das Portrait: Lyoner im Zwielicht
Michel Noir Foto: Sipa
In den 80er Jahren war Michel Noir der Superstar des konservativen Lagers in Frankreich. 1986 wurde er Außenhandelsminister im Kabinett von Jacques Chirac. Nach dessen Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen von 1988 wurde er sogar als der nächste neogaullistische Anwärter auf das höchste Amt in Frankreich gehandelt. 1989 schließlich eroberte er das Rathaus von Lyon. Und als er 1990 überraschend aus der Partei RPR austrat, zu deren Führung er fast seit deren Gründung in den 70er Jahren gehört hatte, minderte das die glänzenden Prognosen für seine politische Karriere keinesfalls. Doch seit gestern ist der Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Frankreichs ein politischer Abstürzer.
Wie vor ihm schon Bernard Tapie, dem Aufsteiger auf der linken Seite des politischen Spektrums, ist Noir jede politische Tätigkeit verboten worden. Wegen Bestechlichkeit wurde er zu fünfzehn Monaten auf Bewährung verurteilt und verlor sein Wahlrecht – passiv und aktiv – für fünf Jahre. Bei den Kommunalwahlen im Juni, bei denen der 51jährige Noir seinen Bürgermeistersitz verteidigen wollte, darf er nicht mehr kandidieren.
Zum Verhängnis wurde Noir das Verhältnis zu seinem späteren Schwiegersohn Pierre Botton, der gestern zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Der einstige Geschäftsmann Botton hatte in den 80er Jahren mehrere Millionen Francs illegal aus seiner Firmengruppe abgezweigt, um Karriere und Vergnügungen von Michel Noir zu finanzieren. Nachdem der den Sprung ins Rathaus geschafft und eine Tochter mit Botton verheiratet hatte, brach Noir den Finanzkontakt ab. Angeblich – so versuchte er dem Gericht in Lyon bei den dreiwöchigen Verhandlungen im Februar glaubhaft zu machen – wollte der Schwiegersohn nun plötzlich Gegenleistungen für seine zuvor völlig selbstlose Unterstützung.
Ganz ähnlich wie der Noch-Bürgermeister von Lyon argumentierten die anderen angeklagten Prominenten. Sie alle – darunter der bekannteste französische Fernsehmoderator Patrick Poivre d'Arvor und der Bürgermeister von Cannes, Michel Mouillot – waren fest davon überzeugt, daß sie die Reisen in Privatflugzeugen und die Aufenthalte in Luxushotels als „reine Freundesdienste“ erhielten. Und keiner von ihnen will irgendeine Gegenleistung dafür erbracht haben. Sie wurden gestern – wie der Lyoner Bürgermeister – zu Bewährungsstrafen verurteilt. Dorothea Hahn
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