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Das PortraitChinas Gewissen

■ Harry Wu

Harry Wu stand ganz oben auf der schwarzen Liste von 49 Exilchinesen, die bei der Einreise festgenommen werden sollten. Doch der 58jährige Menschenrechtsaktivist mit US-amerikanischem Paß ließ sich davon nicht beeindrucken. Mehrfach reiste der unerwünschte Kritiker in den letzten Jahren in die Volksrepublik China. Am 19. Juni dieses Jahres wurde er an der chinesisch-kasachischen Grenze verhaftet und war seitdem verschwunden. Aufgetaucht ist er erst wieder am Samstag in der Stadt Wuhan; offiziel festgenommen und angeklagt wegen Spionage.

Harry Wu, der selbst 19 Jahre in chinesischen Straflagern saß, hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Zustände in den Gefängnissen zu schildern und an die vielen Opfer zu erinnern. „Es ist sowohl eine persönliche Verantwortung, als auch eine Angelegenheit, die von der zivilisierten Welt nicht ignoriert werden kann“, schreibt er in seiner bekanntesten Dokumentation „Laogai, der chinesische Gulag“.

Harry Wu Foto: AP

Während der Rechtsabweichler-Kampagnie gegen Intellektuelle Ende der 50er Jahre wurde Wu Hongda, so sein chinesischer Name, als Konterrevolutionär ins Gefängnis gesteckt. Er hatte die Invasion der Sowjetunion in Ungarn 1956 kritisiert. Nach seiner Freilassung ging Wu 1985 in die USA und war dort als Gastdozent tätig. 1992 gründete er die Laogai-Forschungsstiftung bei San Francisco, die sich mit der Menschenrechtssituation in China auseinandersetzt.

Aufsehen hatte Harry Wu 1994 mit seinen Enthüllungen über den Verkauf von Organen hingerichteter Häftlinge in China erregt: Wu hatte sich als reicher US- Chinese ausgegeben, der eine Niere kaufen wollte, und dabei Aufnahmen mit einer versteckten Kamera gemacht. Anschließend hatte er dem US-Senat von seinen Erfahrungen berichtet.

Die USA nannten die Verhaftung Harry Wus durch die chinesischen Behörden „inakzeptabel“ und kritisierte, daß zwei Wochen lang nichts über den Aufenthaltsort des US-Staatsbürgers und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bekannt wurde. Die Beziehungen beider Länder sind seit dem Besuch des taiwanesischen Präsidenten Lee Teng Hui in den USA stark angespannt.

Harry Wu droht nun lebenslange Haft oder sogar ein Todesurteil. „Sein Leben ist in Gefahr, weil er es wagte, die Wahrheit über den chinesischen Gulag zu berichten“, sagte seine Frau Chin Lee Wu gestern vor Journalisten in Kalifornien. Andrea Oster

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