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Das PortraitDie graue Eminenz

■ Selimchan Jandarbijew

Dudajews Nachfolger: Selimchan Jandarbijew Foto: Reuter

Selimchan Jandarbijew ging gleich in die vollen: Das tschetschenische Volk sei bereit, den Kampf für seine Unabhängigkeit fortzusetzen, ohne Wenn und Aber, ließ der 44jährige die Welt wissen. Der neue Nachfolger des getöteten Rebellenführers Dschochar Dudajew heulte in den letzten Monaten allerdings nicht mit den Wölfen in seiner umkämpften Heimat. Er zog es vor, durch Jordanien zu reisen, um bei der tschetschenischen Diaspora um finanzielle Unterstützung für den Unabhängigkeitskampf zu bitten.

1993 machte Dudajew Jandarbijew zum Vizepräsidenten und Chefideologen der selbsternannten Rebellenregierung. Bereits vorher war der Bartträger, der als Hardliner gilt und sich gerne in Uniform zeigt, durch markige Sprüche aufgefallen. „Wir werden die Russen ausmerzen“, verkündete er im Dezember 1994, als die Rebellen noch im Präsidentenpalast von Grosny saßen. Bei einer Pressekonferenz im März dieses Jahres gab er einer politischen Lösung des Konflikts kaum eine Chance.

Den Kampf für die Eigenständigkeit der widerspenstigen Kaukasusrepublik hat der ehemalige Hilfsarbeiter, der nach einem Literaturstudium Mitglied des sowjetischen Schriftstellerverbandes wurde, schon seit Jahren zu seiner Sache gemacht. 1989 war er Mitbegründer einer Unabhängigkeitsbewegung in Tschetschenien. Zu dieser Zeit leistete General Dudajew noch Dienst bei den sowjetischen Truppen in Estland. Ein Jahr später rief Jandarbijew mit einigen Gleichgesinnten die demokratische Partei Wainach ins Leben, die sich für die Unabhängigkeit Tschetscheniens von Rußland einsetzte.

Jandarbijew wird sich die Anerkennung der Rebellen erst noch erkämpfen müssen, soll seine Nachfolge nicht nur ein kurzes Zwischenspiel bleiben. Denn bislang verfügt er bei weitem nicht über den Rückhalt seines Vorgängers. Schon jetzt wird gemunkelt, daß er nur eine Übergangsfigur sei, die inneren Machtkämpfe um die Dudajew- Nachfolge aber ganz woanders ausgetragen würden. „Obwohl er die graue Eminenz von Dudajew war, hat Jandarbijew keinen Einfluß im tschetschenischen Ministerkreis“, mutmaßte Michail Krasnow, ein Berater des russischen Präsidenten Boris Jelzin, und verglich Jandarbijew mit dem greisen sowjetischen ZK-Chef Konstantin Tschernenko. „Der wurde auch zum Generalsekretär ernannt, hat aber in Wahrheit keine Macht gehabt.“ Barbara Oertel

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