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Archiv-Artikel

Das Paar ist unantastbar

Alfonso Cuaróns Film „Children of Men“ spielt im Großbritannien des Jahres 2027. Die Verwerfungen der Gegenwart werden so weit radikalisiert, dass das Bild der Zukunft hoffnungslos ausfällt. Als Ausweg bleibt einzig ein neuer Erlösermythos

von DOMINIK KAMALZADEH

Die allzu nahe Zukunft ist nichts anderes als eine hysterische Variante der Gegenwart. Terror, religiöser Fundamentalismus und nicht abreißende Migrationsströme prägen auch das Jahr 2027, aber alles ist noch schlimmer, bis hin zur Anarchie verschärft. Bloß Großbritannien, schon immer eine Bastion des eigensinnigen Handelns, hat sich eine Form von Normalität bewahrt: „The world has collapsed; only Britain soldiers on“, posaunt es aus dem nationalen TV. Die Grenzen wurden dicht gemacht, auf Monitoren wird zu Denunziation von illegalen Einwanderern aufgerufen, aber von der anhaltenden Unfruchtbarkeit des Menschen blieb auch die Insel nicht verschont. Ein Menetekel für das baldige Ende von jedem menschlichen Leben.

Der Film „Children of Men“, der auf einem Roman von P.D. James basiert, gehört zu jener Sorte von Sciencefiction, die keine utopischen Welten entwirft, sondern sich die Zukunft als Radikalisierung zeitgenössischer Phänomene ausmalt. Das fantastische Genre war, paradoxerweise, schon immer historischer als viele andere. Das London der Zukunft, eine verschmutzte graue Stadt, in der an jeder Ecke eine Bombe hochgehen kann – der Mexikaner Alfonso Cuarón, der sich nach dem Roadmovie „Y tu mamá también“ und dem dritten Teil der Harry-Potter-Saga nun an einem postapokalyptischen Drama versucht, setzt hier das Geschehen an, um aktuelle Themen zu verhandeln: die Überalterung und Segmentierung der Gesellschaft, die Terror- und Flüchtlingsproblematik, die Einschränkung von Bürgerrechten. Der Kontrollstaat mit demokratischem Profil hat die Big-Brother-Diktaturen abgelöst.

So viel versprechend der größere Rahmen des Films erscheint, so vergleichsweise konventionell gerät die zentrale Erzählung. Theo (Clive Owen) – der Name des Protagonisten ist kein Zufall – ist ein ehemaliger politischer Aktivist, dessen Idealismus längst Resignation gewichen ist. Er wird von seiner einstigen Gefährtin Julian (Julianne Moore), einer Untergrundkämpferin, entführt, nur um den Auftrag zu erhalten, für Kee (Clare-Hope Ashitey) Papiere zu beschaffen. Aus einem Gefallen wird schnell mehr. Theo soll die junge Frau an einen sicheren Ort geleiten, denn sie ist hochschwanger. Es wäre das erste Kind seit 19 Jahren, und damit in der Logik des Films ein Wunder. Theo und Kee gleichen bald einem heiligen Paar, das unbedingte Loyalität verbindet, während sich die anderen Gefährten als Saboteure mit unlauteren Absichten entpuppen. Einzig Jasper, halb bekiffter Posthippie, halb schrulliger Großvater (Michael Caine), gewährt den beiden Unterschlupf. Die Verfolger sind dem Paar allerdings ständig auf den Fersen.

Aus dem Wechsel von kurzem Innehalten und Bedrohungsszenarien bezieht der Film seine etwas mechanische Dynamik, wobei sich Cuarón auf effektvoll inszenierte Action-Abläufe durchaus gut versteht. Das Geschehen entfaltet sich als Rettungsaktion, welche durch die politischen und sozialen Versehrtheiten der Gesellschaft wie durch einen Themenpark hindurchführt. Viel Aufmerksamkeit und Detailverliebtheit wird zwar in die Darstellung der zahlreichen Stationen investiert – sei es, dass man Scharfschützen auf Dächern aufziehen sieht, an Flüchtlingskolonnen entlangkommt oder sich mitten in Gewalteskalationen wiederfindet. Doch Cuarón interessiert sich nur wenig für die Hintergründe gesellschaftlicher Realitäten, er benutzt sie bloß als Schauwerte. So bleibt die Außenwelt für das Paar wenig mehr als Hindernisraum, den man notgedrungen durchqueren muss.

Die Rettung der schwangeren Kee gerät demgegenüber zum messianischen Projekt, von dem das Überleben der Menschheit abhängt. Sobald das Kind geboren ist, wird das Paar geradezu unantastbar. In einer an „Full Metal Jacket“ angelehnten Kriegsszene verstummt das Munitionsfeuer, manch ein Soldat kniet nieder und bekreuzigt sich, als er der Mutter und ihres Babys ansichtig wird. Dass selbst das Sciencefiction-Genre auf die drängenden Fragen der Gegenwart keine bessere Antwort als einen neuen Erlösermythos parat hat, das ist womöglich der beunruhigendste Aspekt dieses Films.

„Children of Men“. Regie: Alfonso Cuarón. Mit Clive Owen, Clare-Hope Ashitey u. a. USA 2006, 108 Min.