: „Das Klima ist sehr krank“
KLIMASCHUTZ Wenn man seinen Wissenschaftlern Glauben schenkt, muss man jetzt auch entsprechend handeln, fordert Negusu Woldemedhin vom Umweltforum in Äthiopien
■ 40 Jahre alt, ist Direktor des nichtstaatlichen Umweltforums in Äthiopien. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Nahrungsmittelversorgung und Gesundheit.
INTERVIEW NADINE MICHEL
taz: Herr Woldemedhin, viele Leute in Deutschland haben den Eindruck, dass das Klimaproblem weit in der Zukunft liegt. Was würden Sie denen erzählen?
Negusu Woldemedhin: Es stimmt, es ist sehr weit weg für Deutschland – ich sehe hier jedenfalls keine Probleme. Aber wenn Sie mal in Länder wie Äthiopien reisen, sieht das ganz anders aus. Die Ironie ist, dass der Klimawandel diejenigen nur wenig trifft, die dafür verantwortlich sind. Das ist der Grund, warum sie das Problem nicht verstehen.
Was ist das größte Klimaproblem in Ihrem Land?
Die Probleme sind sehr komplex. Das Hauptproblem sind die unregelmäßigen Regenfälle – was vor allem Farmer trifft. Die Regenperiode beginnt später und hört früher auf. Drei von fünf Flüssen fließen nur noch zeitweise.
Was erhoffen Sie sich idealerweise von den Klimaverhandlungen in Kopenhagen, die im Dezember in der dänischen Hauptstadt stattfinden?
Ich wünschte, die Industriestaaten kämen zur Lösung eines Problems, das sie verursacht haben. Es muss eine starke Emissionsreduktion geben, basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Klimarates IPCC. Stellen Sie sich vor, jemand aus Ihrer Familie ist schwer krank. Sie bringen ihn ins Krankenhaus, wo er der Diagnose entsprechend behandelt werden kann. Das Klima ist auch sehr krank, und Menschen leiden darunter. Wenn man seinen Wissenschaftlern glaubt, an seine Demokratie, dann muss man jetzt auch entsprechend handeln. Aber im Moment wird nur Medizin light genommen.
Halten Sie einen erfolgreichen Abschluss in Kopenhagen für realistisch?
Die Regierungen scheinen sich momentan auf einen politisch, aber nicht rechtlich verbindlichen Abschluss zu einigen. Wie, bitte schön, soll man das verstehen? Wenn ich heirate, heirate ich doch auch rechtlich und nicht politisch verbindlich. Ich bin enttäuscht. Mit jedem weiteren Tag, den wir die Lösung des Problems hinausschieben, werden die Kosten, die die Armen bezahlen müssen, höher. In welche Richtung entwickelt sich unsere Moral? In welche Richtung geht Demokratie? Wir müssen handeln. Was wir auf jeden Fall nicht brauchen, das sind neue politische Worte.
Bei den Klimaverhandlungen in Barcelona ist die Afrikanische Gruppe sehr stark und einheitlich aufgetreten. Sind Sie optimistisch, dass dieser Druck die Ergebnisse in Kopenhagen stark beeinflussen wird?
Es ist eine gute Entwicklung. Afrika hatte bisher keine einheitliche Position, hat nie mit einer einheitlichen Stimme gesprochen. Jetzt stehen wir gemeinsam für die Rechte Afrikas. In Barcelona war es ein Zeichen dafür, dass sich die Machtbalance ein wenig verändert. Wir brauchen eine Gesellschaft, die gemeinsam arbeitet. Wenn die Industriestaaten nicht bereit sind zuzuhören, was ist dann der Sinn eines rundes Tisches?
Wie viel finanzielle Hilfe sollten Ihrer Meinung nach die Industriestaaten an die Entwicklungsländer zahlen?
Es geht nicht darum, was ich erwarte. Die Höhe der Zahlungen sollte auf der wissenschaftlichen Forschung basieren. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Nachbarn, der Ihnen ständig Schaden zufügt. Sie gehen zu einem Gericht, das entscheidet, dass Ihr Nachbar Ihnen für den Schaden Geld bezahlen soll – aber nicht so viel Geld, wie Sie durch den Schaden verloren haben, sondern so viel, wie Ihr Nachbar möchte. Wäre das gerecht? Die Wissenschaftler sollten klar benennen, wie viel der Schaden kostet.