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Das Halten eigener Ziegen wird einem von diesen nicht gedankt, dafür breitet sich eine große Müdigkeit ausAufwachen

Foto: Lou Probsthayn

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Mit einem Kühlschrank voll Bio-Kuhmilch, und mag das Gewissen beim Kauf auch noch so schlecht gewesen sein, lässt sich leicht auf Youtube-Videos von geplagten Milchkühen gucken. Ich schalte die Videos auf laut und versuche veganen Kuchen zu backen. Männer mit betroffenen Stimmen dröhnen durch meine Küche: die Milcheiweiße der Kuhmilch werden uns töten, im fernen Osten leben die Menschen länger.

Die Bilder der Kühe hängen in meinem Gedächtnis. Für die Kinder habe ich Youtube-Videos gefunden, von Kuhbefreiern, die machen, dass Kühe auf den Weiden tanzen und sich liebevoll an das Gesicht ihrer Pfleger rubbeln. Ich sitze auch dann noch gebannt vor dem Schirm, wenn meine Kinder schon längst unbeaufsichtigt in den Nassräumen mit Wasser spielen.

In letzter Zeit.

Denn ich bin richtig müde.

Meine Ziegen kennen die Kühe, die sich dankbar an den Kopf ihres Retters schmiegen nicht. Sie sind mit ihnen nicht bekannt, nicht verwandt und außerdem wurden sie auch nicht gerettet.

In schlaflosen Nächten, in denen ich vor blauen Flecken aufpassen muss, wie ich liege, denke ich, ich hätte „Industrieziegen“ auftreiben sollen. Irgendwelche lang geplagten, des Lichts beraubten „Milchmaschinen“, die freudig wie bei Youtube auf die Wiese stürzen, mir willens ihr Euter hinhalten, geduldig auf ihrem Kraftfutter herumkauen, während ich ihre Zitzen suche. Ich will doch auch jemanden retten.

Aber meine Ziegen: sind nicht dankbar. Sie sind gemein. Wie das Leben. Sie mobben den kleinen Ziegenbock solange, bis er groß genug ist, dass er sie zurückmobben kann. Sie rufen mich nur, wenn sie Essen wollen, und das wollen sie die ganze Zeit, denn ihr Feld taugt nix, das Gras steht zu hoch, und ihren Wrap, den mögen sie nicht.

Ich weiß plötzlich, warum Menschen Landwirtschaft studieren. Ich wünsche mir, ich könnte in meinen Ziegen Produktionseinheiten sehen statt laute, hungrige Wesen, die auf mich und meinen Mann angewiesen sind –und fies. Wir sprechen nur noch über Ziegen in diesem Haus. Erst, in froher Erwartung, ließen wir uns Bilder von der Züchterin per Handy schicken. Nun, nach der Niederkunft, streiten mein Mann und ich uns müde, googeln nach Ziegenkrankheiten und Diarrhöe-Ursachen, wir erwärmen widerwillig Ziegenmilch und hoffen, dass sie zu Käse wird und nun – müssen wir auch schon wieder melken.

Es ist schon halb drei, Ziegen brauchen Regelmäßigkeit, sonst kriegen sie eine Euterentzündung. Mal sehen ob ich ihn vom Sofa wach kriege, nur eine halbe Stunde, nur eine klitzekleine, hat er gesagt und nun fängt er an, leise zu schnarchen.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle. Einen Band mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz hat der Verlag Michason & May veröffentlicht.

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