■ Das Guinness-Buch '95 ist da: Wenn die Spaßrekorde purzeln
Düsseldorf (taz) – Bald wird es 40 Jahre alt, das Guinness-Book of Records, das natürlich selbst einen Rekord hält, nämlich als das meistverkaufte unter Copyright stehende Buch der Welt, strebt doch seine Auflage rasant der 80-Millionen-Marke entgegen, wozu in letzter Zeit auch Übersetzungen ins Chinesische und Isländische, ins Mazedonische und Malaiische beitragen – eine imponierende Erfolgsstory, wenn man bedenkt, daß alles mit ein paar harmlosen Regenpfeifern anfing, die den Flintenschüssen von Sir Hugh Beaver, dem damaligen Guinness-Geschäftsführer, glücklich entkamen, worauf sich dieser fragte, ob der Regenpfeifer womöglich der schnellste europäische Jagdvogel sei, aber in keinem Nachschlagwerk eine Antwort fand, was ihn auf die Idee brachte, derlei Zweifelsfällen, über die sich täglich Zigtausende von Starkbiertrinkern an den Theken nutzlos in die Haare kriegten, ein für allemal den Garaus zu machen, indem man ihnen fortan eine ultimative Faktensammlung an die Hand gab, um „die Hitze des Streits durch das Licht des Wissens zu ersetzen“, wie es im Vorwort zur 95er Ausgabe des Jahrbuchs so schön heißt, und das ist wahrlich nicht zuviel versprochen, leuchtet die Pracht-Enzyklopädie doch in die schwärzesten kosmischen Löcher wie in die hellsten Galaxien hinein, würdigt sie alles nur Denk- und Undenkbare zwischen der höchsten Wasserhose und dem giftigsten Frosch, dem hartnäckigsten Schluckauf und dem lendenstärksten Hundevater, nicht zu vergessen all die fabelhaften Spaßrekorde, welche das Buch nicht nur unbestechlich registriert, sondern längst auch treibhausmäßig fördert, denn alle möchten hier einmal verewigt sein, ob als Unterwassergeiger, als Sammler von Flugzeug-Kotztüten oder als 20-Kilometer-Purzelbaumschläger, notfalls auch als achtjährige Mutter von Zwillingen, wobei sich mancher Rekordjäger derart in seine Sache verbeißt, daß dem Jahrbuch nur regelmäßig zu vermelden bleibt, der Versuch dauere noch immer an, wie im Fall jenes Indonesiers, der nun schon seit 1970 auf einer Palme lebt – eine Spitzenleistung, der europäische Matadore nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen haben, aber hier prägen eben andere Disziplinen das Bild, und nicht ohne Freude registriert der Leser, daß sich in letzter Zeit gerade auch BürgerInnen aus den neuen Bundesländern mit Fleiß, Zähigkeit und Einfallsreichtum auf ehrenhafte Plätze vorgearbeitet haben, indem nun zum Beispiel Meißen den kleinsten Zwergpudel und Halle den größten Flaschenöffner sein eigen nennen kann, in Leipzig der höchste Bierkistenstapel stand, und der überlegene Sieger im Radio-Dauermoderieren aus Chemnitz kommt, der Stadt, die auch Schauplatz eines denkwürdigen Kammblasens von 214 sächsischen Friseuren wurde, womit längst nicht alle blühenden Aufbau-Ost- Triumphe genannt sind, doch das würde den Rahmen dieser kleinen Rezension sprengen, der es nur obliegt, die anregende, ja ansteckende Wirkung zu bezeugen, die von dem Buch der Superlative ausgeht, das übrigens, entgegen einem verbreiteten Vorurteil, auch den schöngeistig Interessierten nobel bedient, etwa mit dem längsten Wort der Weltliteratur, welches der Komödiendichter Aristophanes, sowie dem berühmtesten aller langen Sätze, den Victor Hugo in „Les Misérables“ verbrochen hat, wobei er freilich 51 Semikolons benötigte – ein geradezu miserabler Trick, wenngleich man dem Franzosen zugute halten kann, daß es das Guinness-Buch der Rekorde seinerzeit noch nicht gab, sonst hätte er sich hoffentlich etwas mehr Mühe gegeben. Olaf Cless
„Guinness-Buch der Rekorde '95“, Ullstein, 370 S.; 49,80 DM
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