: Das Glück ist nicht immmer nur lustig
■ Haß als Stützkorsett: Fassbinders Angst essen Seele auf
„Siebzehnmal Szenenapplaus, minutenlange Standing Ovations... Rainer ist zunächst verdutzt und auch etwas mißtrauisch. Nur das alte Zirkustier Brigitte Mira hat die Gunst der Stunde erfaßt. Während wir die Treppe des Palais du Cinéma hinuntergehen, wird Rainer anfangen zu weinen“, schilderte Laurens Straub vom Filmverlag seine Eindrücke der Galaaufführung von Angst essen Seele auf. Das war im Mai 1974 in Cannes. Mit Muffensausen flog Rainer Werner Fassbinder gen Süden, nicht ahnend, daß das in nur 14 Tagen abgedrehte Melodram ihm den internationalen Durchbruch bringen sollte. In Deutschland indes tat sich die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden schwer und konnte aus der für die damalige Zeit neue und für Fassbinder typische bewußt einfache, lineare Erzählstruktur nur eine „routinierte Unbeholfenheit“ herauslesen. Dabei mochte Angst essen Seele auf als naives Sozialdrama erscheinen, welches verklärte Beziehungen nachzeichnete. Das aber war Fassbinders methodischer Kunstgriff. Er wußte natürlich, daß Beziehungen komplexer funktionieren: „Aber da bin ich der Ansicht, daß jeder Zuschauer sie selbst mit seiner eigenen Realität auffüllen müßte. Und die Möglichkeit hat er halt auch, wenn eine Geschichte so einfach ist.“ Fassbinders Spielfilm ist in seiner filmischen und dialogischen Struktur klar, thematisch allerdings ein starker Stoff, der jetzt das Theater im Zimmer reizte, den Film als Stück auf die Bühne zu spulen.
Emmi ist einsam und mindestens sechzig. Emmi ist Münchnerin, Ali ist Marokkaner und eher vierzig. Ali tanzt mit Emmi. Emmi nimmt Ali mit nach Hause. Emmi liebt Ali und Ali liebt Emmi. Ali und Emmi heiraten. Und alles wär' so schön, wären da nicht der Fremdenhaß und die Vorurteile bei Emmis Putzkolleginnen und Nachbarinnen und der Sexualneid von Emmis Kindern, die selber in dumpf-biederen Ehen versackt sind. Vordergründig ist es der aufbrausende Ausländerhaß, den die Geschichte erzählt. Doch gerade dieser Haß, dieser Druck, ist es, der die „unmögliche Liebe“ sichert: Diese Liebe ist die einzige Waffe gegen all die Feindseligkeiten. Und das Glück ist manchmal eben nicht lustig. Als Emmi und Ali von einem Urlaub zurückkehren, wird plötzlich aus der Verachtung der Kinder und Nachbarn herablassendes Kalkül. Emmi wird gebraucht, das Gefühl zur Ware, und das Vorurteil weicht einer berechnenden Integration. Die Barlegung dieses sozialen Mechanismus' sei gerade das, was das Stück so zeitlos mache und noch immer aktuelle Anknüpfungspunkte liefere, sagt der Dramaturg Lothar Schwindt. Die Frage, ob die Geschichte allerdings durch eine feine oder starke Figurierung der Rollen besser zum Tragen kommt, entfachte während der Produktion einen derartigen Eklat, daß sich kurz vor der Premiere das Ensemble von seinem Regisseur Sebastian Orlac getrennt hat. Wollte Orlac sensibel ausgelotete Charaktere, so bestanden Ensemble und Dramaturgie auf einer deutlichen, kräftigen Darstellung – ohne karikaturistische Übertreibung, damit die Geschichte erkennbar bleibt und nicht im Brei farbloser Gestalten untergeht. Ob das Bühnenstück darunter nun gelitten oder gewonnen hat, zeigt sich heute Abend. Britt-Kristin Feldmann
Premiere heute: 20 Uhr, Theater im Zimmer
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