: Das Fest der Buchpiraten
Heute kommt in Lateinamerika der neue Roman von Gabriel García Márquez auf den Markt – eine Woche früher als geplant, weil in Bogotá bereits ein Raubdruck kursiert
Immer wenn ein neues Buchvon Gabriel García Márquez zur Veröffentlichung ansteht, herrscht beim spanischen Buchmulti Random House Mondadori höchste Alarmstufe. Es gilt, Kolumbiens Buchpiraten ein Schnippchen zu schlagen. Vor zwei Jahren, beim Memoiren-Band „Leben, um davon zu erzählen“, war die Polizei rechtzeitig mit Razzien zur Stelle: Die ersten Raubdrucke kursierten in Kolumbien erst drei Wochen nach der Veröffentlichung. Im Fall von „Memoria de mis putas tristes“ („Erinnerung an meine traurigen Huren“) aber, dem ersten Roman des 77-jährigen Nobelpreisträgers seit zehn Jahren, waren die Raubdrucker wieder schneller – obwohl alle erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden waren.
So wurde der gesamte Produktionsprozess fast komplett in Spanien abgewickelt. Erst zum Druck der Erstauflage für die Andenregion – 350.000 Exemplare – reiste ein Vertrauensmann nach Bogotá und überreichte die CD-ROM mit den Vorlagen Moisés Melo vom Norma-Verlag, der dort das Werk von Márquez betreut. Der 20-tägige Druckprozess wurde von einer Sicherheitsagentur überwacht, die Angestellten der hochmodernen Druckerei mussten sich strengsten Kontrollen unterziehen. 4.375 einzeln abgewogene Bücherkisten wurden auf dem Weg in das zentrale Vertriebslager wie Geldtransporte begleitet. Rezensionsexemplare gab es keine. Nur ausgewählte Autoren, deren durchwegs enthusiastische Stellungnahmen jetzt in García Márquez’ Wochenzeitschrift Cambio erschienen sind, durften ihn in Melos Wohnung lesen.
Alles vergeblich. Vor einer Woche boten Bogotás Straßenhändler das 113-Seiten-Werk feil, in der „Piratenmeile“ unweit des Goldmuseums, wo von jeher die jeweils aktuellen Beststeller für ein Drittel des Ladenpreises zu haben sind. Knapp vier Euro kostete der Roman auf Zeitungspapier, vier Seiten fehlten. „Es war ein Angestellter der Druckerei,“ glaubt Verleger Melo. „Wer sonst sollte für so etwas seine Karriere aus Spiel setzen?“
Die Sonntagszeitung El Espectador dagegen vermutet hinter dem sehr professionellen Vorgehen mächtige Drahtzieher. In Bogotá ist es ein offenes Geheimnis, dass die rechtsextremen Paramilitärs den Handel mit Schmuggelware sowie halb- und illegalen Produkten fest im Griff haben. Auf dem kolumbianischen Bücher-Schwarzmarkt liegen die Umsätze im mehrstelligen Millionenbereich. Beim Vargas-Llosa-Bestseller „Das Fest des Ziegenbocks“ war jedes vierte Exemplar ein Raubdruck, schätzt Pilar Reyes vom Santillana-Verlag. „Vor kurzem haben sie uns ein Schulbuch in der gleichen Qualität wie das Original geklont.“
Die Behörden gehen nur sporadisch vor, wie letzte Woche, als sie einige tausend Exemplare von „Memoria de mis putas tristes“ beschlagnahmten. „Es ist surreal“, sagt die Journalistin Constanza Vieira, „wegen des Skandals hat man es jetzt nur auf die Gabo-Dubletten abgesehen. Andere Raubdrucke kann man weiterhin problemlos kaufen.“
„Ein außerordentliches Buch“, hat ihr Álvaro Mutis verraten, der langjährige Freund und Kollege des Nobelpreisträgers, der ebenfalls in Mexiko-Stadt wohnt und das Manuskript vor drei Monaten zu lesen bekam. Beim Betrachten eines schlafenden 14-jährigen Mädchens lässt der 90-jährige Icherzähler in einer karibischen Stadt der Fünfzigerjahre sein Leben Revue passieren – und entdeckt dabei die Liebe. „Ein absoluter Genuss“, schwärmt Cervantes-Preisträger Mutis und stellt die Novelle in die Tradition von „Die Liebe in Zeiten der Cholera“.
García Márquez selbst hüllt sich bislang in Schweigen. Dass ihn der Kampf gegen die Buch-Piraterie sonderlich umtreibt, ist nicht überliefert. Vor Jahren wurde in Medellín ein Vorrat mit Raubdrucken seiner Werke ausgehoben, der größer war als der gesamte Bestand seines damaligen Verlages.
In Südamerika hat man jetzt den offiziellen Erscheinungstermin um eine Woche vorgezogen: Wie in Spanien ist der echte Gabo ab heute zu haben. Die deutsche Ausgabe erscheint am 4. Dezember. GERHARD DILGER