Das Ding, das kommt: Einfach warten
Als ich Kind war, gab es immer den Kalender aus Pappe mit 24 Türchen und winzigen Schokoladenfiguren drin, die man aus einer Plastikform drückte. Das reichte, die kindliche Vorfreude auf das Fest zu schüren. Eines Winters hab ich heimlich schon am 4. Dezember alle Türen geöffnet – und hab das dann bereut.
Als meine Kinder so alt wurden, dass sie sich auf Weihnachten freuten und die Tage bewusst zählten, war Schokolade längst verpönt. Zucker ist nicht nur schlecht für die Zähne, sondern verstärkt auch Hautprobleme wie Neurodermitis: bewusste Eltern basteln den Kalender. Bei uns war es eine Schnur mit vielen kleinen Mini-Päckchen, die quer im Wohnzimmer hing.
Dort kommt alles rein, was Kinder gern haben und pädagogisch wertvoll ist, im ersten Jahr ging’s ja noch: Hier eine Holzfrucht für den Kaufmannsladen, dort einen bunten Stift, ein Schleich-Gummitier. An der Kasse im gehobenen Spielzeugladen, der sich längst mit einem Kleine-Dinge-Regal auf das Adventsgeschäft mit Eltern wie uns eingestellt hatte, musste ich schlucken. Mit 50 Euro kam ich kaum hin.
Später habe ich doch mit Naschkram ein bisschen Masse hinzugeschummelt, hier mal eine Schaummaus, dort mal ein zuckerfreies Kaugummi. Aber es mussten immer 24 kleine Päckchen sein, die am Vorabend des 1. Dezember in mühevoller Einwickelei zu einem standesgemäßen Kreativ-Adventskalender gestaltet wurden. Nur wurde so auch der Krimskram im Haushalt immer mehr. Und Glitzerstifte, witzige Anspitzer und bunte Flummis verlieren ihren Wert, wenn sich die Vorjahres-Adventsgeschenke auf der Küchen-Fensterbank stapeln. Anders als Schokofigürchen kann man die ja nicht essen.
Eines Jahres – die Kinder waren schon Teenager – verzichteten wir einfach auf Kalender. Den 1., 2., 3., 4. Dezember. Dann lag im Supermarkt vor der Kasse im Korb für übrige Ware ein edles Teil. Bekannter Marzipan-Hersteller, hübsch gemalte Weihnachtsillustration von 20 Euro runtergesetzt, für schlappe 5 Euro. Gekauft. Der Kalender war toll, ging sogar mit 31 Türchen über Weihnachten hinaus bis Silvester. Wir teilten uns reihum die Beute.
Im nächsten Jahr warteten wir wieder ganz cool bis zum 4. Dezember. Neuer Trick, einfach warten, dann sind die billig, dachten wir. Aber nichts da. Die Kalender waren ausverkauft.
Seither ist es halt so. Wir kaufen einen sündhaft teuren Luxus-Kalender mit Schoko-Marzipan, sobald er Anfang November im Regal steht. Billiger als naschfreie Alternativen ist er allemal. kaj
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