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Archiv-Artikel

Das Dilemma der Korrespondenten KOMMENTAR VON GEORG BLUME

Spätestens seit dem Tag im Juni 1989, als sich ein Chinese im weißen Hemd vor einem Panzer der Volksarmee auf der Straße des Himmlischen Friedens in Peking stellte und ein CNN-Kameramann die Szene filmte, wissen China und der Rest der Welt von der Bedeutung der ausländischen Presse in Peking. Immerhin: Sie kann nicht mehr vertrieben werden, seit Deng Xiaoping Anfang der 80er-Jahre China öffnen ließ und befahl, nicht auf die Fliegen zu achten, die durchs geöffnete Fenster kommen würden.

Doch geliebt werden die Pressefliegen von den KP-Behörden bis heute nicht. Gemäß Anweisung der Regierung dürfen ausländische Journalisten in China Reisen und Interviews nur mit offizieller Genehmigung machen. Kaum ein Korrespondent hält sich an die Regel. Doch sie erfüllt trotzdem ihren Zweck: Die meisten Interviews für den westlichen Gebrauch sind deshalb illegal. Solche Verstöße werden äußerst selten gegen den Reporter benutzt, jedoch in einigen Fällen gegen den chinesischen Interviewpartner.

Genau das ist jetzt der ARD passiert. Dass es dabei Fernsehleute erwischt, ist kein Zufall. Sie arbeiten offener als schreibende Journalisten, die die Identität ihrer Gesprächspartner verbergen können. Und doch fürchtet auch der taz-Korrespondent diese Situation: dass ihn zum Beispiel die Opfer der Polizeipsychiatrien, die ihm furchtlos ihr Leid klagten, eines Tages von neuen Verfolgungen aufgrund ihrer „verräterischen“ Interviews berichten.

Formal macht sich ein westlicher Reporter nicht schuldig, wenn sein Interviewpartner bestraft wird. Die Schuld liegt allein bei den KP-Behörden – und im aktuellen Fall ihren mutmaßlichen Helfershelfern –, die bis heute nicht die in ihrer Verfassung garantierte Meinungsfreiheit respektieren. Auch haben die ARD-Kollegen tadellos reagiert, indem sie sich öffentlich bei der chinesischen Regierung beklagen und ihre Verzweiflung kundtun.

Nützen aber werden die Klagen nichts. So leicht reagiert China nicht auf internationalen Druck. Das aber ist die Bürde des China-Korrespondenten: Er muss vorsichtig sein – und mit dem Dilemma leben, dass ein kritischer Bericht seinen Interviewten in tödliche Gefahr bringen kann.