■ Das „Bündnis für Arbeit“ hat keine großen Chancen, realisiert zu werden. Trotzdem ist der Vorstoß wichtig: Ein Pakt mit dem Teufel?
War der Vorstoß des IG-Metall- Vorsitzenden Zwickel nicht doch etwas blauäugig? Da wird in Zeiten exorbitanter Börsengewinne den Unternehmern ein Angebot auf Lohnverzicht im Tausch gegen neue Arbeitsplätze unterbreitet. Das erinnert an den flotten Oskar von der Saar, der vor Jahr und Tag Arbeit und Einkommen umschichten und so die Umverteilung in einer Klasse anzetteln wollte, statt dem Kapital gehörig auf die Finger zu klopfen. Dennoch: Die Gewerkschaften reklamieren mit diesem Vorstoß – endlich – den Anspruch auf gesellschaftliche Gestaltung, sie kehren zurück in die Politik. Die politische Agonie angesichts von Millionen Erwerbslosen scheint überwunden. Die Krise der Arbeitsgesellschaft steht wieder auf der Tagesordnung.
Nach der Ära der Dampflok und der Elektrifizierung eröffnet die dritte industrielle Revolution, der Einsatz neuer Technologien, eine neue Qualität von Produktivitätssteigerungen im industriellen Sektor. Die Rationalisierungsmöglichkeiten in Produktionsverfahren und Arbeitsorganisation sind schwindelerregend. Wer aber die ökologische Frage nicht abgeschrieben hat, der kann nicht weiter auf ungebremstes Wachstum von Märkten und Verbrauch setzen. Die Krise der Industriegesellschaften und die Krise der Ökologie fordern die gleiche Lösung: statt Wachstum um jeden Preis „Verteilung“. Verteilung der Arbeit, Verteilung der Einkommen, Verteilung der gesellschaftlichen Aufgaben. Natürlich brauchen Umweltschutz und ökologische Produktion neue Technologien, natürlich braucht eine neue Energie- und Mobilitätspolitik eine veränderte Produktpalette – aber im Saldo geht es, auch beim Arbeitsvolumen, eher um Schrumpfung als um Wachstum.
Auch der vielbeschworene Dienstleistungssektor wird nicht das auffangen, was die Industrie durch Rationalisierung freisetzt. Der große Wettlauf um die Zeit hat auch hier bereits begonnen. Neue Technologien revolutionieren neben dem sekundären zugleich den tertiären Sektor. Allein die Deutsche Bank will in den nächsten zwei Jahren 11.000 Arbeitsplätze abbauen, das entspricht 23 Prozent der Beschäftigten. Nur soviel zu den Illusionen über die „Dienstleistungsgesellschaft“.
Lohnarbeit wird zum knappen Gut. Und so haben wir die Wahl zwischen den Modellen „Viel für wenige“ oder „Weniger für alle“. Bleibt es beim „Viel für wenige“, so muß das soziale Sicherungssystem von Jahr zu Jahr löchriger werden, denn die Zunahme der „Bedürftigen“ wird die Möglichkeiten der Finanzierbarkeit wie auch den politischen Konsens über die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs schwinden lassen. Die Alternative heißt Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit fordert die radikale Verteilung von Arbeit und Einkommen. Tarif- und Ordnungspolitik müssen gestaltend in diesen Umverteilungsprozeß eingreifen. Auf der Tagesordnung steht die Regulierung unterschiedlichster Arbeitszeitformen, von Überstundenabbau, Freizeitausgleich, Zeitkonten, Sabbatjahren, von Arbeitszeitverkürzung und auch Teilzeitarbeit in den verschiedensten Formen.
Dies wirft die Frage nach der Verteilung der Einkommen und nach der Sicherung der Existenz auf. Nicht ganz zu Unrecht wird den Verfechtern des VW-Modells entgegengehalten, daß die Reduzierung von Arbeit und Einkommen dann kein Problem ist, wenn es wie bei VW ein dreizehntes und vierzehntes Monatsgehalt sowie großzügige Zuschläge zu verteilen gibt. Was aber wird aus schlechter bezahlten Verkäuferinnen, was aus all jenen, die in unteren Lohngruppen oder im außertariflichen Niedriglohnbereich tätig sind, was aus der alleinerziehenden Frau ohne Unterhaltsansprüche?
Die Sicherung der Existenz über den Lohn ist auch heute schon für viele ArbeitnehmerInnen eine Fiktion. Für Frauen gilt dies schon lange, denn ihr Lohn war nie auf den Unterhalt einer Familie zugeschnitten, galt immer als Zuverdienst. Der den Männern zugestandene Familienlohn mag bei einem Lehrer auf dem Dorf noch reichen, in München wegen der hohe Mieten schon nicht mehr.
Wenn wir anerkennen, daß der Familienlohn seine Funktion schon lange nicht mehr erfüllt, dann darf er auch nicht zur Begründung herhalten, daß Lohnkürzungen im Umverteilungsprozeß unzumutbar seien. Frauenlöhne sind schon lange Individuallöhne! Der Unterhalt anderer Personen, in der Regel von Kindern, muß zukünftig über das gesellschaftliche Transfersystem abgedeckt werden. Im Klartext heißt das: Bedarfsdeckung durch Kindergeld. Nur so wird man berechtigten Ängsten, daß Arbeitszeitverkürzung und Lohneinbußen die Existenzsicherung gefährden, begegnen können.
Wer die Arbeitszeitverkürzung nicht den BestverdienerInnen allein bescheren, sondern bei der Masse der Arbeitsverhältnisse und damit auch bei den kleinen Einkommen ansetzen will, der muß veränderte Einkommensverhältnisse auch steuerlich berücksichtigen. Der Druck auf die kleinen Einkommen bei Arbeitszeitverkürzung und damit verbundener Lohneinbuße kann nur über die Progressionskurve aufgefangen werden. Freistellung des Existenzminimums und darüber hinausgehende steuerliche Entlastungen der unteren Einkommen sind unabdingbar, wenn die Umverteilung von Arbeit nennenswerte Größenordnungen annehmen soll.
Bekanntlich gibt es auf seiten der Unternehmen wenig Bereitschaft, diffenzierte Arbeitszeitformen im Interesse von Beschäftigten einzuführen. Immer noch gilt: möglichst wenige Beschäftigte zu möglichst hohen Stundenzahlen, es sei denn, es lassen sich durch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse Gewinne über die Einsparung der Sozialversicherungsbeiträge realisieren. An ebendiesem Gewinninteresse läßt sich der Hebel ansetzen für die Forcierung von Arbeitszeitverkürzung. Mit einem Bonus-Malus-System bei den Arbeitgeberbeiträgen für die Arbeitslosen lassen sich Arbeitsverhältnisse mit hoher Stundenzahl verteuern, verkürzte Arbeitszeiten hingegen verbilligen. Sowohl die Arbeitgeber als auch die ArbeitnehmerInnen hätten den Nutzen – und die Gesellschaft dazu, wenn das einen Schub in Richtung Umverteilung mit sich brächte.
Was die Realisierungschancen des „Bündnisses für Arbeit“ angeht, so ist Skepsis sicher angebracht. Erfahrungsgemäß haben die Arbeitgeber inzwischen Routine in freiwilligen und damit unverbindlichen Selbstverpflichtungen. Aber: Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um! Marieluise Beck
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