piwik no script img

Das Berliner Nachtleben ist bekanntlich vielfältig und buntGelebter Culture Clash, irgendwie ganz sympathisch

Ausgehen und rumstehen

von Andreas Hartmann

Das Berliner Nachtleben ist bekanntlich vielfältig und bunt, für jeden Geschmack ist etwas mit dabei, doch die programmatische Vielfalt einzelner Locations lässt eher zu wünschen übrig: Im Watergate läuft normalerweise Techno, im Astra treten Indiebands auf. Aber es geht glücklicherweise auch anders.

In der Kreuzberger Filmkunstbar Fitzcarraldo etwa. Tagsüber kann man hier Arthouse-Filme im Stil einer gehobenen Videothek entleihen, abends gibt es in denselben Räumlichkeiten Barbetrieb und am Wochenende Partys. Aber eben nicht von der erwartbaren Art, es wird also nicht getanzt wie John Travolta in „Pulp Fiction“, der sein eigenes Tanzen in „Saturday Night Fever“ persi­fliert oder so, sondern es gibt so richtig schwoofige Total-Partys.

Auch am vergangenen Freitag war es wieder so, ganz im Sinne des Credos nach den Anschlägen von Paris, dass wir jetzt nicht damit aufhören sollen mit dem Spaßhaben. Zwischen DVDs mit Filmen von Godard und Truffaut wurde auf engstem Raum zu einer Musik getanzt, die eigentlich keinem Cineasten mit dementsprechend ausgebildeten Geschmacksnerven gefallen dürfte. Wer die Filme von David Lynch mag, hört im Normalfall etwas anderes als nur die Hits der Achtziger und das Beste von heute, könnte man meinen. Die Messlatte des musikalischen Niveaus hing in der Filmkunstbar jedoch auf der definitiv untersten Stufe: „We will rock you“ von Queen, „Tutti Frutti“ und irgendwann Whitney Houston. Als wäre man auf einer Bad-Taste-Party in einer Vorstadt-Diskothek und nicht in einer Arthouse-Videothek. Die Wochenenden im „Fitzcarraldo“ sind gelebter Culture Clash, irgendwie ist das ganz sympathisch.

Auch am Sonntag in dem kleinen Club „Ausland“ im Prenzlauer Berg spielte man ein wenig mit den gängigen Event-Formaten und bekämpfte das Prinzip des Erwartbaren. Der Club ist bekannt für Konzerte der experimentelleren Spielart. Improv, Pop der ungewöhnlicheren Art, so etwas wird hier geboten, aber im Normalfall in klassischer Art und Weise, abends, und zum Schluss gibt es vielleicht noch einen DJ. Aber auf Dauer ist diese Form von Eventisierung für einen Club mit dem Anspruch des „Ausland“ natürlich auch wenig herausfordernd, und so lief am Sonntag mal alles anders.

Nachmittags um 15 Uhr – passend wurden dazu Kekse gereicht wie zum Nachmittagskaffee – legte der DJ Cambodian Knives einfach mal gleich zu Beginn der Veranstaltung auf. HipHop und Twerk. Dann spielte die berüchtigte japanische Noise-Band Hijokaidan, was durchaus einen knallharten Bruch darstellte, und zum Wiederrunterkommen wurden Filme des Berliner Videokünstlers Oliver Pietsch gezeigt. HipHop, Japannoise und Videokunst, alles an einem Nachmittag. Und das Konzept ging auch noch auf: Bis zum Schluss war der kleine Club voll, die Besucher des lauten Krachkonzerts sahen gebannt auf der Leinwand Filme über Sterben und Vergänglichkeit – es war ja auch noch Volkstrauertag – und schoben sich zwischendurch noch ein paar Kekse in den Mund.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen