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Daniel-Pascal Zorn über Ole Nymoen Ist es links, nicht für die Demokratie zu kämpfen?

Die Demokratie mit der Waffe zu verteidigen, scheut sich mancher. Für einen idealen Kommunismus in den Krieg zu ziehen hingegen wäre für Nymoen möglich. Ist das nun links oder libertär?

Dieses Bild könnte manche Linke triggern: Bundeswehr-Soldat:innen stehen in Formation. Foto: picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

taz FUTURZWEI | Mit dem Buch Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde hat der Autor und Podcaster Ole Nymoen, so scheint es, die deutsche Friedensbewegung wiederbelebt. Anknüpfend an seinen ZEIT-Artikel aus dem Juli letzten Jahres legt er die Gründe für seine Verweigerung dar: „Staaten sind […] nichts weiter als Gewaltapparate“, sie sind „Geschöpfe von Jahrhunderten von Kriegen“, nicht etwa „das Ergebnis von friedlichen Absprachen“.

Die Idee einer Verfassung als Gesellschaftsvertrag ist „Idealismus“ – das Wesen des Staates ist der Krieg, in dem „Menschen aufeinandergehetzt werden, die nur deshalb in einem Antagonismus zueinander stehen, weil man sie dazu in Friedenszeiten erzieht“. Alles Böse, kann man zusammenfassen, kommt vom Staat.

Die Systemfrage

Mit der real existierenden Demokratie kann Nymoen nicht viel anfangen. Im Buch zitiert er Leserbriefe, die ihm „einen Mangel an demokratischem Bewusstsein“ vorwerfen.

Bild: Annette Hauschild/Ostkreuz
Daniel-Pascal Zorn

Daniel-Pascal Zorn ist Literaturwissenschaftler, Philosoph und Publizist. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze, die den Preis der Universität Eichstätt erhielt. 2022 erschien sein letztes Buch „Die Krise des Absoluten. Was die Postmoderne hätte sein können“ bei Klett-Cotta.

Nymoen bekennt sich zwar formell zur Demokratie, aber nur im Konjunktiv: „Wenn gut informierte Menschen […] nach einem Mehrheitsprinzip Entscheidungen […] träfen, wie die Gesellschaft zu organisieren sei“, hätte er damit kein Problem. Aber das sei eben nicht der Fall.

Zur Verstärkung zitiert Nymoen Peter Decker, den Chefredakteur des GegenStandpunkts. Wahlen, so Decker, dienten vor allem dazu, das bestehende System aus „politischer Herrschaft“, den „Apparat“ und seine „Führer“ zu bestätigen. Die Systemfrage, klagt der Marxist, könne in demokratischen Wahlen gar nicht gestellt werden.

In seinen Interviews sieht Nymoen sich als „Privatbürger“, dem der Staat gar nicht die Wahl lässt, zu kämpfen oder sich der Fremdherrschaft zu unterwerfen.

Überhaupt betont Nymoen, geradezu provokativ, dass er vor einem Aggressor lieber kapitulieren würde, als für Deutschland die Waffe in die Hand zu nehmen. Seltsam an Nymoens vorgeblichem Pazifismus ist auch das Fehlen gewaltlosen Widerstands – er vertritt weder radikale Gewaltfreiheit noch die pragmatische Haltung des rationalen Pazifismus: „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.“

Viel über den Staat, wenig über Frieden?

Im Buch hat er sehr viel über den Staat zu sagen, viel über dessen Krieg – über Frieden dagegen sehr wenig. Was ist das also für ein seltsamer Pazifismus, den Nymoen angeblich wiederbelebt?

Im Gespräch mit Jacobin-Chefredakteur Loren Balhorn stellt Nymoen klar: „Unter dieser extrem hypothetischen Bedingung, dass man hier einen Kommunismus einführen würde, wäre ich vielleicht auch bereit, dafür zu kämpfen.“ Ole Nymoen ist also offenbar gar kein Pazifist.

Er verweigert nur demjenigen Staat seine Verteidigungsbereitschaft als „Privatbürger“, der nicht seiner Idealvorstellung entspricht. In dieser willkürlichen Haltung ähnelt Nymoen einem typischen Libertären. Diese sind, so lautet ein Bonmot, wie Hauskatzen: Sie sind überzeugt von ihrer grimmig verteidigten Unabhängigkeit, während sie völlig abhängig von einem System sind, das sie weder anerkennen noch verstehen.

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Man kann davon ausgehen, dass Nymoen für das Privileg dankbar ist, seine Positionen ausbreiten zu dürfen. Die Verteidigung dieser Freiheiten geht ihm aber dann doch zu weit.

Pazifismus ist für Nymoen der sprichwörtliche Fuß in der Tür, um zur besten Sendezeit jene Gedanken populär zu machen, die sonst in esoterischen Diskussionszirkeln ungehört verhallen. Dazu gehört der uralte Streit zwischen Anarchisten und Marxisten, der die linken Bewegungen seit der Ersten Internationale spaltet. Nymoen selber neigt auf die Seite des Anarchismus, was ihm viel Applaus von libertärer Seite einbringt.

Sein vermeintlicher Versuch, linke Positionen wieder öffentlich sichtbar zu machen, wird von seiner Polemik konterkariert, immer noch eine Spur radikaler als andere Linke sein zu wollen. Für Linke, die den Staat nicht rundheraus ablehnen, hat er vor allem Spott übrig.

Nymoen vertritt dabei durchaus Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit, die linke Positionen kennzeichnen. Er kritisiert die Ökonomisierung des Bildungssystems, die Abwertung von sozial Schwächeren, die Ausbeutung der Arbeiter. Für soziale Gerechtigkeit kämpfen will er aber nicht.

Abstrakte Argumente aus Tradition

Seine diesbezügliche Argumentation bleibt abstrakt, ist an manchen Stellen auch oberflächlich. In ihrer besten Version lenkt linke Theorie ihre Aufmerksamkeit auf produktive Widersprüche: dass bürgerliche Demokratie Bedingung von Sozialismus sein kann, trotz ihrer Beschränkungen; dass es pazifistische Aufopferungsbereitschaft gibt, eine linke Tradition der Volksbewaffnung und der Miliz, und vieles mehr. Nymoen macht aus ihr ein verkaufsförderndes Argument, das seiner privaten Weltsicht dient.

Am Ende bestimmt wohl Nymoens Vorstellung vom idealen kommunistischen System, was wirklich links ist. Aus bloßer Verachtung für ein Gemeinwesen, das ihm den Ausdruck dieser Verachtung ermöglicht, nicht kämpfen zu wollen, ist aber ganz sicher kein Pazifismus.

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