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„Damit die Gefahr der Flucht vermindert wird...“

■ Der Brief des Vermittlungsagenten Rusch an den Kapitän der M/S „Birka“ / Die Heuer soll für mindestens vier Monate zurückgehalten werden / Gewerkschaftliche Tätigkeit und „illegale Fluchtversuche verboten“

In dem Brief des Vermittlungsagenten Rusch an den Kapitän der M/S „Birka“ werden die Direktiven des Lübecker Reeders Beutler an seinen Kapitän übermittelt. In ihm wird dem Kapitän auch der Wortlaut eines Vertrages zur Kenntnis gegeben, den die indischen Seeleute unterzeichnen müssen, um den Job zu bekommen. Der Inhalt dieses den Seeleuten aufgezwungenen Vertrages verstößt in mehreren Punkten gegen internationales und deutsches Recht. Das Vorenthalten der Heuer ist ebenso ungesetzlich wie das Verbot des Landgangs. Die den Indern auferlegte Verpflichtung, nur das auf den Schiffen gereichte Essen zu sich zu nehmen, ist eine eindeutige Menschenrechtsverletzung und das Verbot gewerkschaftlicher Tätigkeit verstößt gegen das Recht auf Koalitionsfreiheit, das nicht nur im Grundgesetz garantiert wird, sondern auch ein tragendes Element internationalen Rechts ist. Aus dem Schreiben läßt sich schließen, daß es sich nicht um einen einmalige, sondern um die übliche Praxis bei der Anwerbung indischer Seeleute handelt. Der Brief im Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Kapitän Habermann,

nach einem Gespräch mit Herrn Beutler (Schiffseigner des MS - Birka/d. Red.) nach unserem telecom, möchte ich sie bitten, den Punkt 3 des Briefes an die Inder zu ändern.

Damit die Gefahr der Flucht vermindert wird, halten wir die Heuerzahlung für mindestens vier Monate zurück. Nur ein kleines Taschengeld kann gezahlt werden aus geleisteten Überstunden.

Des weiteren soll es im Prinzip keinen Landgang für die Inder geben oder kontrolliert mit der Gewißheit, daß sie zurückkommen.

Alle Inder die jetzt eingestellt wurden müssen vor einem Notar in Bombay folgendes unterschreiben:

1. Ich bin von Beruf Seemann und freiwillig an Bord des Motorschiffes..............gekommen.

2. Ich habe - alles inbegriffen - eine Monatsheuer von 250/300 US-Dollar sowie einen US-Dollar pro Überstunde gefordert und akzeptiert. Dies schließt auch Urlaubsgeld und andere geldwerte Leistungen während der Beschäftigung auf oben genanntem Schiff ein und gilt für einen Zeitraum von einem Jahr ab dem Tag, an dem ich meine Arbeit aufnehme.

3. Ich werde in den ersten sechs Beschäftigungsmonaten meine Heuer nicht annehmen, sondern nur einen Teil der Heuer, die sich in Maßen hält und von mir angefordert wird; nach Ablauf der sechs Monate werde ich meine Heuer abrechnen und erhalten.

4. Ich werde das Schiff nicht verlassen und während der ersten sechs Monate nicht an Land gehen sowie nach Erledigung meiner Dienstaufgaben an Bord bleiben. Nach Ablauf der sechs Monate steht es allein im Ermessen des Kapitäns/Reeders, uns Landgangausweise auszustellen.

5. Ich werde jeglichen illegalen Fluchtversuch unterlassen und nicht ohne vorherige Genehmigung der zuständigen Stellen das Schiff verlassen.

6. Darüber hinaus verpflichte ich mich, jegliche Nahrung zu mir zu nehmen, die an Bord serviert wird, und ich werde mich nicht an irgendwelchen gewerkschaftlichen Aktivitäten beteiligen.

Unterschrift des Semanns“

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