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Archiv-Artikel

DVDESK Treue und Schwindel, Farce und Ernst

„A Sun-Tribe Myth from the Bakumatsu Era“ (Japan 1957, Regie: Yuzo Kawashima), z. B. via play.com ca. 16 Euro

In Japan selbst ist der Film ein hochverehrter Klassiker

Der Schauplatz: Shinagawa, ein Stadtteil von Tokio, einst die erste Poststation der Stadt und bis heute die Gegend mit der höchsten Hoteldichte. Die Zeit: das Jahr 1862, Spätphase der Edo-Ära, eine Epoche des Umbruchs, die von Historikern den Namen „Bakumatsu“ („Ende des Shogunats“) erhielt. Dies „Bakumatsu“ trägt Yuzo Kawashimas Film auch im Titel, den die bei „Masters of Cinema“ veröffentlichte erste westliche DVD-Fassung wortgetreu wiederzugeben versucht: „A Sun-Tribe Myth from the Bakumatsu Era“.

Ein Historienfilm also. Einer allerdings, der mit Bildern aus dem Shinagawa seiner Gegenwart (1957 also) einsteigt. Damit ist signalisiert, dass alles, was man im Folgenden sieht, sehr wohl auf Tagesaktualitäten Bezug nimmt. Für die Zeitgenossen war das natürlich gut lesbar. Die Versuche einiger Samurais, die Ausländer mit Terrorakten aus der Stadt zu vertreiben, verweisen auf die auch nach dem Friedensschluss verbliebenen Besatzungstruppen im Land und eine allgemeine Ausländerfeindlichkeit. Vor allem aber wurde, wie man im Booklet zur DVD nachlesen kann, die Frage der zur Entstehungszeit noch immer blühenden Prostitution in Shinagawa heftig diskutiert.

Der Schauplatz des Films ist nämlich: ein Bordell. Es fungiert als ziemlich allegorisches Haus. Nicht nur die Freier aus allen, auch den höchsten Schichten gehen hier ein und aus. Auch die Samurais mit Terrorabsichten – die übrigens umgesetzt werden – schmieden hier ihre Pläne. Hübsche Geishas in teuren Kimonos mit teils allerdings sehr schwarzen Zähnen gehen ihren Geschäften nach und betrügen die Kunden mit massenhaft ausgefertigten Eheversprechen. Diese wiederum stellt in seiner Kleindruckerei im Bordell der eigentliche Protagonist des Films für die Prostituierten her: der mit allen Wassern gewaschene Schwindler Inokori, den der beliebte Komiker Frankie Sakai spielt (im Westen am ehesten bekannt als Lord Yabu in der Fernsehserie „Shogun“).

Auch er sitzt im Bordell. Meist aber sitzt er nicht, sondern rennt, lauert und flieht. Obwohl er überall seine Finger drin und immer noch eine Idee in der Hinterhand hat, ist er notorisch in Geldnot. Eine Tricksterfigur, immer auf der Grenze zwischen Treue und Schwindel, Farce und Ernst. So wie er ist der Film. Hat also gar nichts mit der Ruhe und dem stillen Mono-no-aware (dem „Pathos der Dinge“) des aus Ozu-Filmen vertrauten Klischeebilds von Japan zu tun. Hier wird vielmehr, auch wenn man die Unterleiber nicht sieht, frontal in Richtung Kamera, also Publikum, gepisst. In Sachen Prostitution nimmt keiner ein Blatt vor den Mund. Ein toter Hund treibt im Wasser und manch angesehener Bürger wird als knausriger oder gieriger Wicht vorgeführt. Inszeniert ist das mit einigem Tempo und großer Aufmerksamkeit für Bewegungsvektoren im Bild: Irgendeine Unruhe ist immer.

Vielleicht liegt es an der Abwesenheit der vertrauten Klischees, dass der Film und auch sein Regisseur im Westen weitgehend unbekannt sind. Kawashima ist jung gestorben, hat in knapp zwanzig Jahren aber gut fünfzig Filme, viele von ihnen ähnlich satirisch, gedreht. In Japan selbst ist „A Sun-Tribe Myth from the Bakumatsu Era“ ein hochverehrter Klassiker, in einer Umfrage der Filmzeitschrift Kinema Junpo aus dem Jahr 1999 wurde er auf den fünften Platz der bedeutendsten japanischen Filme gewählt. Großer Dank ans britische „Masters of Cinema“-Label, das mal wieder den Mut hat, einen Film zugänglich zu machen, der am Markt alles andere als ein Selbstläufer ist. EKKEHARD KNÖRER