DVDESK : Im Schraubstock übermäßiger Körperkontrolle
„Albert Nobbs“ (GB/F/Irland/USA 2011, Regie: Rodrigo García)
Wir befinden uns am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Albert Nobbs ist ein unauffälliger Mann. Er arbeitet seit Langem als Butler in einem kleinen, aber feinen Hotel in Dublin. Nobbs ist zurückhaltend, aber freundlich, ein wenig pedantisch und wird von seinen Kollegen geschätzt.
Keiner weiß, dass er sich sein Einkommen vom Munde abspart, penibel über jeden Shilling Buch führt und das Geld unter einer Diele seiner Dachkammer versteckt. Er träumt davon, einen Tabakladen zu eröffnen. Er wäre gern sein eigener Mann.
Was auch keiner ahnt: Der freundliche Mister Nobbs, es spielt ihn Glenn Close, zwängt jeden Morgen seine Brüste in ein Korsett. Er ist eine Frau, seit Jahrzehnten verkleidet. Als die Pensionswirtin eines Tages den körperlich ungeschlachten Anstreicher Hubert Page bei Nobbs einquartiert, gerät sie, Mister Nobbs, in Bedrängnis. Bis zu jenem Moment, in dem sich Page (Janet McTeer) selbst als Frau offenbart. Als Page Nobbs berichtet, dass er/sie verheiratet ist, und als Nobbs dann beim queeren Ehepaar zu Besuch kommt, geht ihm ein Licht auf. Auch er/sie hätte gern eine Frau.
Kein Raum für Fantasie
Was das mit sexuellem Begehren zu tun hat, ist schwer zu sagen. Nobbs weiß es selbst nicht. Er wirbt um das viel jüngere Zimmermädchen Helen (Mia Wasikowska), die aber mit einem anderen, jüngeren Mann Sex hat. In seinen wildesten Fantasien sieht Nobbs diese Frau freilich nicht in seinem Bett, sondern als Bedienung im gemeinsamen Tabakladen hinter der Theke. Woran man schon merkt, dass der Film nicht die Geschichte einer Befreiung erzählt, von einem Coming-out ganz zu schweigen. Sehr viel eher geht es um die Beschreibung von Verhältnissen, in denen noch für die Fantasie die Freiheitsräume verstellt sind.
Nicht durch ausgesprochene Verbote, sondern dadurch, dass man an bestimmte Möglichkeiten gar nicht erst denkt. Allgemeiner gesagt, führt „Albert Nobbs“ darum vor Augen, wie schwer es fürs Individuum sein kann, überhaupt selbst zu begreifen, wer er oder sie ist mit ihrem Wollen und Sein, wenn er oder sie in allen sozialen Exempeln und den Diskursen und in den Bildern und Selbstbildern der Andern nicht vorkommt. Eine/r wie Nobbs ist an diesem Ort und zu dieser Zeit keine Denkmöglichkeit, und zwar auch für sich selbst. Was also bleibt, ist das „Passing“ als Mann. Nobbs gewinnt soziale Optionen, um den Preis des Verlusts aller Gewissheiten über die eigene Identität.
Die Geschichte von Nobbs war ein Herzensprojekt von Glenn Close. Sie hat die Figur erstmals vor 30 Jahren im Theater gespielt, die Finanzierung des lange geplanten Films aber zog sich hin. Erst war István Szabó der Regisseur ihrer Wahl, dann hat Rodrigo García – Sohn von Gabriel García Márquez und wenig beschriebenes Blatt – inszeniert. Am Drehbuch schrieb der große irische Schriftsteller John Banville mit, und auch Glenn Close.
Das Ergebnis ist von beachtlicher Qualität. Close, die sich für die Rolle in den Schraubstock übermäßiger Körperkontrolle zwingt und dabei doch eine sanfte Ausstrahlung wahrt, hat sich damit manchen Preis und eine Oscar-Nominierung erspielt. Regisseur García illustriert Leben, Leid und bescheidene Träume des Albert Nobbs. Es ist schön, dass er dabei zurückhaltend ist. Es ist aber auch wahr, dass er alles in allem etwas sehr middlebrow bleibt. EKKEHARD KNÖRER
■ Die DVD ist ab rund 16 Euro im Handel erhältlich