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Archiv-Artikel

DVDESK Sie machen Worte, zunächst

„Love Battles – Mein erotischer Ringkampf“ („Mes séances de lutte“, Frankreich 2013, Regie: Jacques Doillon)

Sie küssen sich, sie schlagen sich, sie wälzen sich auf dem Boden, sie stürzen, sie zerren aneinander

Ein Mann, eine Frau, simpler geht es auf den ersten Blick nicht. Sie haben und bekommen nicht einmal Namen. Eine Begegnung, die eine Wiederbegegnung ist, irgendwo auf dem Land. Sie (Sara Forestier) kehrt zurück in ihr Elternhaus nach dem Tod des Vaters. Er (James Thiérée) lebt im Nachbarhaus. Sie war schon einmal da, es lag etwas in der Luft, eine Attraktion, aber sie haben nicht miteinander geschlafen. Jetzt kehrt sie wieder – und dass etwas in der Luft lag damals, das wird jetzt ausgesprochen und liegt also wieder in der Luft, nur komplizierter.

Sie machen Worte, zunächst. Sie zieht das T-Shirt an und den Pyjama, die sie damals schon trug. Dann berühren sie einander, aber nicht zärtlich. Heftig, ruppig, sie attackieren sich, schlagen sich, ringen miteinander. Sie verausgaben sich, dann werden sie ruhiger, finden zurück zu den Worten. Draußen, im Grünen, entwickelt sie eine Fantasie, die die Beziehung zwischen ihnen im Rückblick betrachtet, als Blättern durch ein Fotoalbum von ihrer für die Ewigkeit festgehaltenen Liebesgeschichte.

Dabei gibt es diese Geschichte noch nicht. Nur die Begegnung, die Wiederbegegnung, die Worte, die Schläge und die Fantasie. Keinen Sex. Oder jedenfalls nicht richtig Sex, zunächst, obwohl alles, was zum Sex gehört, da ist: die Worte (sie sprechen auch darüber, miteinander zu schlafen), die Berührungen, die Attraktion und die Fantasie (auch die Fantasie davon, miteinander zu schlafen).

Sie verschwindet, aber nur kurz. Im Haus des verstorbenen Vaters trifft sie die Schwester, wer bekommt das Klavier, wer bekommt die Fotokamera. Das Schwesterverhältnis wird nur skizziert, den Bruder, von dem die Rede ist, sieht man nie. Die Beziehung zum Vater war schwierig. Nur Andeutungen, aber so viel versteht man, dass im Verhältnis zum Mann nebenan auch die Beziehung zum Vater nachgespielt, ausgekämpft wird. Es ist mehr im Bild, als man sieht. Wie wenig man weiß über die beiden, wird nicht thematisiert; aber wenn man sich fragt, was man weiß, wird einem klar: Es ist kaum mehr als nichts.

Sie küssen sich, sie schlagen sich, sie wälzen sich auf dem Boden, sie stürzen, sie zerren aneinander, sie ziehen und schleppen einander, sie gehen an die Schmerzgrenze und darüber hinaus. Sie spricht in Videokonferenzen mit einer Freundin über das, was geschieht. Später ist die Freundin vor Ort. Er, der Mann, bleibt ein Solitär, ein Mann und sein Haus, wer weiß, was er da tut. Oder doch, man erfährt, weil sie es erwähnt, als Vorwurf, als Pfand im Spiel, im Kampf mit- und gegeneinander: Da war eine andere, jüngere Frau, damals, bei der ersten Begegnung.

Worte, Schläge, Küsse, Bisse. Wortgefecht, Ringkampf: Es sind die Körper, es sind die Blicke, es sind Metaphern im Spiel. Es ist nicht so, dass der Sex (im Schlammloch im Wald) das Hin und Her zwischen Kampf und Spiel still- oder eine eindeutige Beziehung zwischen den beiden herstellt. Die Worte versiegen, die Körper sind am Ende erschöpft, eine Grenze ist überschritten. „Mes séances de lutte“, der Originaltitel von Jacques Doillons Film, spricht von „Sitzungen“, „Vorstellungen“ – es geht also um etwas zwischen Performance und Therapie. Etwas, das einen Anfang hat und ein Ende. Die Möglichkeit steht im Raum: dass danach alles von vorne beginnt. EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD ist für rund 19 Euro im Handel erhältlich