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Archiv-Artikel

DVDESK Wenn du Pech hast, macht es dich zu Wurst

„Dracula 3 D“ (Regie: Dario Argento, Italien 2012)

Sie haben kein Innenleben und keinen tieferen Sinn, sie deuten auf nichts und wollen nichts sagen

Zwei Seiten hat der Horrorfilm: Zum einen die Suggestion. Er zeigt, indem er nicht zeigt. Er raunt, deutet an, lässt etwas am Rand des Bilds lauern, das man nicht sieht, oder nur halb sieht oder erst nicht sieht und dann kommt es.

Der Horrorfilm macht das Licht lange nicht an, manchmal schnappt etwas zu in verwischten Bildern. Man fürchtet das Schlimmste – und in Wahrheit ist an der Furcht vor dem Schlimmsten das Schlimmste die Furcht. Die andere Seite des Horrors ist der Terror. Das Schlimmste tritt ein, oder genauer gesagt: Etwas tritt ein, etwas wird sichtbar, schnellt aus dem Dunkeln. Es ist etwas Fremdes, etwas Unförmiges, Ausgeburt der Furcht, es ist das wiedergekehrte Verdrängte oder ein Monster in Menschengestalt. Es nähert sich, es will fressen, töten, beißen. Es hat die Kettensäge in der Hand und wenn du Pech hast, macht es dich einfach zu Wurst.

Die beiden Seite des Horrorfilms hängen zusammen. Dario Argento hat in seinen großen Zeiten in den siebziger und achtziger Jahren beide beherrscht. Kein Mann der Subtilitäten, aber auf Subtilität kommt es im Suggestiven nicht an – eher aufs Durchhalten der einmal evozierten Stimmung, auf ein gutes Gefühl für Dosierung und Timing und Dramaturgie (man kann auch mit dem Entsetzlichen anfangen und dann steigern). Selbst aus den Folterkammern des Siebziger-Progrock entlassene Musik der Band Goblin und wabernder Nebel können dich in Angst und Schrecken versetzen.

Argento hat immer das Manierierte und Barocke geschätzt, die schrägen Kamerapositionen, das Trashige, die Einstellungen aus der Subjektiven, auf der Seite des Terrors auch das gut sichtbare Pfählen und Köpfen. Er liebt justament die Techniken, die das aufgezeichnete Bewegtbild des Anscheins der Objektivität berauben. In Meisterwerken wie „Suspiria“, noch bis ungefähr „Opera“ (1987), hat es erstaunlicherweise die Horroreffekte eher gefördert als behindert, dass er die Aufmerksamkeit aufs Operieren des Kinos selbst zog. Er hat seitdem weitergemacht, nur fehlt seinen Filmen seit Langem das, was den Horrorfilm ausmacht: die Suggestion nämlich und der Terror, und beides fehlt gründlich.

Argentos jüngstes Werk ist da ein sehr gutes Beispiel. Für „Dracula 3 D“ hat er ein filmhistorisch gut eingeführtes Sujet aus dem Keller geholt. Es hat von Murnau bis Coppola schon manchem gute Dienste geleistet. Blut, Grenze von Leben und Tod, allegorische Lesarten, harmloser Tag, das Grauen der Nacht, Kreuz, Knoblauch, Pfahl: Bram Stoker liefert alles frei Haus. Argento aber fängt nichts damit an. Nein, das ist falsch. Er nimmt das alles, schnappt es sich vielmehr, lässt nichts aus, malt es schön an, putzt es heraus, präsentiert es gut sichtbar – und beraubt es dabei aller Suggestion und noch des leisesten Schreckens.

Es ist alles da, und nichts funktioniert. Argento nimmt die Motive von ihrer offensichtlichsten Seite. Sie haben kein Innenleben und keinen tieferen Sinn, sie deuten auf nichts und wollen nichts sagen. In diesem „Dracula“ ist konsequent alles outriert, nach außen gekehrt: die Brüste, die Wölfe, die Kreuze und Pfähle, die Musik, die ständig Gefühle behauptet, die dem Film fehlen, und erst recht die als solche auf der Stelle erkennbaren Spezialeffekte.

Auch die Schauspieler (von Asia Argento bis Rutger Hauer) sprechen ihre Texte, als wüssten sie nicht, was Schauspielen heißt. Gelegentlich ist es wenigstens hübsch anzusehen, meist ist es fad, einmal kommt eine große grüne WTF-Heuschrecke um die Ecke – und nie ist es auch nur für eine Sekunde zum Fürchten. Wäre Argento ein Konzeptkünstler, könnte man sagen: Er hat den Horrorfilm dekonstruiert. Nichts deutet leider darauf hin, dass Argento das wirklich will. So bleibt nur tiefe Ratlosigkeit.

EKKEHARD KNÖRER