DVDESK : Grenzverkehr zwischen Traktorverkäuferrealität und Wunderwurzelfantastik
„Der König der Fluchten“, Regie: Alain Guiraudie, mit Ludovic Berthillot, Hafsia Herzi u. a., Frankreich 2009, 90 Min., ab ca. 15 Euro im Handel
Armand Lacourtade (Ludovic Berthillot) ist Traktorverkäufer in der südfranzösischen Provinzstadt Albi, nicht weit von Toulouse. Die Gegend ist ländlich geprägt. Armand ist 43, von stattlichem Leibesumfang und steht auf reife Männer. Diesen begegnet er in der Cruising-Zone auf einem trostlosen Parkplatz vor den Toren der Stadt. Erst sieht man Armand in Traktorverkäufergeschäften. Er gerät in einen Traktorverkäuferkonflikt, Verkaufszonengrenzstreitigkeiten mit einem Kollegen. Dann aber widerfährt ihm etwas Unerwartetes.
In der Stadt rettet er eine sehr attraktive junge Frau, Curly Durandot (Hafsia Herzi), aus den Händen einer Gruppe von Jugendlichen, die sie vergewaltigen wollen. Curly, sie ist sechzehn, entbrennt bei der Gelegenheit in leidenschaftlicher Liebe zu Armand. Sie ist die Tochter von Armands Traktorverkäufergrenzkonfliktkonkurrenten, der sie erst einmal wegsperrt. Die Liebe jedoch ist eine Macht, gegen die er nicht ankommt. Armand und Curly begegnen sich wieder, es kommt zum Sex – oder käme dazu, wenn Armand nur könnte. Er kann aber nicht, obwohl er zur eigenen Überraschung durchaus wollte.
Die beiden werden beim Nicht-Sex ertappt, ein strenger Herr von der Sittenpolizei nimmt Armand ins Gebet, verpasst ihm ein Armband mit Ortungsfunktion und taucht im weiteren Film immer wieder aufs Unvermitteltste auf in verfänglichen Situationen. Zu verfänglichen Situationen kommt es sehr wohl. Armand und Curly fliehen, vor Polizei, Vater, Traktorgeschäft, Konvention, sie rennen durch Wälder und queren Flüsse und haben endlich auch Sex. Jetzt kann Armand, denn er hat sich eine wundertätige Wurzel verschafft, Doo-root genannt, eine Art Natur-Viagra, das noch dazu die Renn- und Laufleistung steigert. Armand und Curly fliehen also und vögeln, werden verfolgt, nehmen Dooroot, es ist ein einziges Glück, nur beim Analverkehr, zu dem es Armand zieht, macht Curly nicht mit.
„Der König der Fluchten“ ist ein hinreißend merkwürdiger Film. Seine Geschichte, die sehr fröhlich auf die Gesetze der Wirklichkeit und Wahrscheinlichkeit pfeift, erzählt Alain Guiraudie in trocken realistischem Stil. Zwischen Traktorverkäuferrealität und Wunderwurzelfantastik richtet er einen ständigen Grenzverkehr ein und verzieht dabei keine Miene.
Alle kuscheln
Überhaupt ist der Verkehr sehr zentral: Armand flitzt mit dem Rad, fährt mit dem Auto, cruist auf dem Parkplatz, vögelt mit Curly, fängt sich dann wieder und landet mit einem reifen und dann einem ganz reifen Mann und zuletzt mit einer ganzen Männerbande im Bett. Zur Männerbande gehört dann auch der strenge Herr von der Sittenpolizei. Alle stecken sie unter einer Decke und kuscheln. Wenn es nach dir ginge, heißt es einmal im Film,dann würde immerzu jeder mit jedem schlafen.
So ist es. „Der König der Fluchten“ ist ein Lob des Promisken, dabei von lüsterner Unschuld. „König der Fluchten“ ist aber nicht nur ein Lob, sondern selbst ein Prachtexemplar des Promisken. Ein ganz seltsames Ding, ein Film, der jede klare Genrezuordnung flieht, dies und das am Wegesrand aufliest und sich einen dicken Mann mittleren Alters zum Helden einer Sexkomödie erkiest. In anderen Filmen hat sich Regisseur Guiraudie, ein Außenseiter des französischen Kinos, noch weiter von der Welt, wie sie ist, zu entfernen gewagt, in Richtung eines selbst erfundenen Mittelalters zum Beispiel. „Der König der Fluchten“ irritiert und verzaubert jedoch stärker, gerade weil er sich eine prosaische Wirklichkeitswelt hernimmt und ihr und uns nach Lust und Laune die Sinne verwirrt. EKKEHARD KNÖRER