DURCHS DRÖHNLAND: Mittenmang ins Geschehen
■ Die besten und schlechtesten, wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche
Da ist dieses Schimpfwort, man wagt es kaum niederzuschreiben: Jazzrock. Auch Kiss of Reality haben es vermieden, obwohl es überaus zutreffend wäre. Sie selbst nennen ihre Musik »Progressive Rockmusik«. David Pittaway (Gitarre), Volker Rehn (Chapman-Stick) und Jörg Schwickerath (Schlagzeug, Samples) beherrschen ohne Zweifel ihre Instrumente, sparen sich den Gesang, blubbern und blabbern hier, rocken dort, zirpen mal und mal nicht. Musik, die beim besten Willen nicht losgeht. Musik für den Ohrensessel mit der dicken Plüschbespannung. Musik, wie Jean-Michel Jarre auf Speed oder Alan Parsons Project auf Valium. Musik, mit der öffentlich-rechtliche Fernsehredakteure gerne Reiseberichte unterlegen. Musik, zu der man klasse alles, aber auch wirklich alles einkaufen kann, weil sie einen von nichts ablenkt. Musik, ...
Am 28. 2., um 20 Uhr im H & M, Langhannsstraße 23, Weißensee
Neuerdings wird dieser alte Mann beschuldigt, für Death- und Doom-Metal verantwortlich zu sein. Immerhin hatte Ozzy Osbourne schon wesentlich früher als andere seine Schwäche für Splatter entdeckt, was vor allem in seinem schwarzen Humor zum Ausdruck kam. Ebenso darin, daß angeblich des öfteren bei Konzerten die eine oder andere Fledermaus dazu verdammt war, ihr Leben zwischen den Kiefern des Meisters auszuhauchen. Ob das nun Fakt, kluge Promotion oder nur gepflegter und gehegter Kult war, bemerkenswert an Ozzy Osbourne war allemal, daß er sich selbst — als einer der wenigen im Heavy-Metal-Bereich — nicht allzu ernst nahm. Weder musikalisch noch gesanglich hatte der gute Ozzy allzuviel zu bieten. Deshalb machte er sich gnadenlos zum Affen, ohne dabei die dumpfe Ernsthaftigkeit von zum Beispiel Alice Cooper zu imitieren. Ozzy Osbourne war immer schon der Clown, weil er zum Gigolo zu fett war, und zum Monster taugt man mit dieser Grinse auch nur bedingt. Guter Mann eigentlich, auch wenn die Sache mit den Fledermäusen nicht verbürgt ist. Aber die Patenschaft für den Death-Metal ist dann doch zuviel der Ehre.
Am 28.2., um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Die Insel mausert sich zum Schwarzkittel-Nirvana, auch weil es in Berlin schon seit längerem keinen expliziten Laden mehr für Gruften und ihre Musik gibt. War ja auch ziemlich out. Jetzt stürzen sich die Insulaner auf die Marktlücke und locken die Schwarzröcke aus ihren Einzimmerlöchern. Dieses Wochenende spielen die westdeutschen Colour of Spring, die allerdings eine eher gemäßigte Variante des Dark Rock bieten. Da wabern zwar die Keyboards, und das Schlagzeug pumt öde immer weiter, aber die Stimme von Sänger Andreas Vedder verschiebt die Stimmung hin zu hoffnungsvolleren Momenten. Neben den dicken schwülstigen Soundgebilden wirkt sie manchmal etwas deplaziert. Erst in den sehr reduzierten, akustischen Balladen, zu denen Colour of Spring ebenfalls in der Lage sind, kommt sie zum Tragen. Da wechselt dann die Stimmung von der tragischen Romanze in Moll zur hübschen, allgemeinverständlichen Melancholie — dem Gefühl, das wir alle kennen. Colour of Spring, urspünglich ein Duo, haben sich für die Live-Auftritte verstärkt und versprechen härtere Gangart. Zum Trauern und simultanen Betrinken unbedingt geeignet.
Am 28.2., um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6
Viele kleine Geschichten gäbe es über die Gebrüder Schumacher zu erzählen. Das sind Menschen, die auch schon mal ein eigenes Konzert verschlafen, weil ihnen keiner Bescheid gesagt hat. Ausgerechnet so jemand beginnt dann auch noch, sich völlig zu verzetteln. Weil ihnen ihre eigene Hüsker-Dü-Epigonenband No Harms noch nicht genug ist, stiegen Sven und Jan nun noch bei der Hüsker-Dü-Epigonenband Lübke ein, deren Sänger zudem fast dieselbe Stimme wie Sven Schumacher hat. Das ist schon fast dialektisch. Zweimal Zweidrittel in einem Trio zu bilden, zweimal dieselbe Musik zu machen und dafür verschiedene Namen zu finden. Junge Menschen können nicht genug kriegen.
Allsound sind sechs Menschen aus Berlin, die ein oftmals eklektizistisches Wave-Geschrammel produzieren. In hypnotischen Rhythmen überlagern die Gitarren schon mal die Stimme, die sehr selbstbewußt einen herben deutschen Akzent in die englischen Texte mischt. Im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Kapellen liefern sie keinen gleichbleibend monotonen Teppich, sondern spielen sehr schön auf den Punkt zu, schwellen auf und ab, kurz: geben sich viel Mühe mit dem dramatischen Songaufbau, eine Methode, die in letzter Zeit etwas aus der Mode gekommen war. Prädikat: hoffnungsvoll.
Am 28.2., um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7
Die Berliner Lokalheroen Jingo de Lunch haben eine neue Platte, die vierte LP inzwischen, und die ist wieder genauso wie der Vorgänger und die davor. Nicht schlechter, besser geht eigentlich nicht; sie bleiben sich treu. Kennst du eine Jingo-Platte, kennst du alle, und alle sind gut. In der Beziehung nähern sie sich der stoischen Konsequenz der Ramones an. Natürlich bleiben Jingo damit das Beste, was der westdeutsche Hardcore hervorgebracht hat, nicht zuletzt weil sie das schlüssige Bindeglied zwischen Punk und Metal sind. Die Geschwindigkeit, Härte und Themen des Punk mit der Schwere und Verspieltheit des Metal. Inzwischen können sie so schnell werden, wie sie wollen, ohne dabei die Ruhe zu verlieren, dafür sorgt schon die bierbleierne Zähigkeit, die ihnen zu eigen ist. Niemand sonst in dem Bereich hat so einen satten, gereiften Sound, und irgendwie produzieren Jingo de Lunch seit ihrer zweiten LP nur noch Alterswerke, auf denen das abgesteckt wird, was sie können. Und das ist gut so, solange es niemanden gibt, der es besser macht. Innovativ waren sie vielleicht vor fünf Jahren, heute sind sie Instanz. Eine kleine Veränderung gibt es vielleicht doch: Yvonne Ducksworth singt dieses Mal nicht so exaltiert und sich selbst überschlagend, vielleicht auch weil ihre Texte diesmal — im Gegensatz zu den delirierenden Wortkonglomeraten von früher — konkreter sind. Und wer sonst als eine Schwarze, in Berlin lebende Kanadierin dürfte Zeilen wie diese singen: »I see the Reich/ Is being restored/ I'll be too late/ If further ignored/ Arier Menschen/ Rassistisches Maß/ Ausländergesetz/ Can all lick my ass.«
Am 1.3., um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Es ist noch gar nicht so lange her, da war Trashmetal das neue dolle Ding. Als Speed zu langsam und zu artifiziell wurde, wandten sich die Jüngeren Ende der Achtziger dieser schnelleren und brutaleren Variante zu. Und wo kommt eine der dienstältesten deutschen Trashmetal-Bands her? Natürlich aus der Motorcity Wolfsburg. Sie heißen Protector und A Shedding of Skin ist bereits ihre dritte LP neben zwei Maxis. Protector sind wie ein guter Horrorfilm. Da wo sich andere mit der Exposition und dem ausführlichen Spannungsaufbau aufhalten, stürzen sich die Jungens aus MC Wolfsburg mittenmang ins Geschehen, ins Geknüppel und Gefichtel. Schnell, schneller, am schnellsten, nur wenn akut die Sehnenscheidenentzündung droht, wird einen Gang zurückgeschaltet. Der zwischenzeitliche Sängerwechsel hat Protector gut getan. Olli Wiebel hat selbst für die Branche ein ungewöhnliches Organ. Da wo andere wegen der Geschwindigkeit zu hoch singen, bleibt er tief und bedrohlich und wird noch tiefer. Der richtige Soundtrack zu Tanz der Teufel.
Am 1.3., um 20 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108-114, Kreuzberg 61
Manchmal entwickelt man eine Schwäche, die man sich selbst nicht so richtig erklären konnte. An Texas hat mit vor allem immer die Slidegitarre gefallen, und die sentimentale Grundstimmung. Vielleicht noch die schwarzen Lederjacken. Aber eigentlich war da nichts weiter. Belanglos und nett. Und nett ist wie doof, findste an jeder Ecke.
Am 3.3., um 20 Uhr im Quartier, Potsdamer Straße 96, Schöneberg
Wenn es die definitive Yuppie-Band gibt, dann ist es diese. Das weißes Mann spielt einen schwatten Soul, weil das so sexy macht. Großmäuliger als Muhammad Ali zu seinen Glanzzeiten stolziert der blaßgesichtige Gockel durchs MTV und läßt seine rote, dauergewellte Mähne fliegen, immer mit dem kessen Spruch auf den Lippen, daß er jede Frau flachgelegt hätte, die ihm über den Weg lief. Mich Hucknalls größtes Talent war vor allem, die richtigen Musiker zu finden, die seiner Vorstellung von der schwitzenden Tanzmucke mit absolut reinem Hygienefaktor Gestalt gaben. Wenn dieser Typ nicht so obereklig wäre, hätten Simply Red eine richtig gute Popband werden können.
Am 4.3., um 20 Uhr in der Deutschlandhalle, Messedamm
Thomas Winkler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen