DURCHS DRÖHNLAND: Wie eingeschlafene Füße
■ Die besten und schlechtesten, wichtigsten und überflüssigsten Konzerte
Immer wieder faszinierend festzustellen, daß englische Menschen schon so früh vergreisen. Die vier Milchgesichter von Ride sehen aus wie siebzehn, sind tatsächlich Mitte zwanzig und waren — natürlich — Art- School-Studenten, wie sich das für einen echten englischen Popmusikanten gehört. Natürlich ist der Gitarrenlärm, den sie produzieren, sehr mächtig, sehr großartig und sehr beeindruckend. Aber warum dieser Nölgesang dazu? Im Info wird das »Byrds auf guten Drogen« genannt, ich würde eher sagen, Ride sind »depressive Byrds ganz ohne irgendwelche Drogen«. Selbst mir ist das Ganze ja zu verschnarcht, drei Stücke lang finde ich es immer sehr gut, aber dem Engländer gefällt's vom Anfang bis zum Ende, der hat Ride schon zur größten Hoffnung des Gitarrenpops gekürt, und das sind sie dann auch die letzten Jahre geblieben. Längst bei der WEA, aber immer noch in den Indie-Charts zu Hause. Zum wirklich großen kommerziellen Durchbruch haben sie zuviel Lärm im Jingel-Jangel und fehlt ihnen die poppend positive Lebenseinstellung.
Am 25.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Krachender Gitarrenrock, Soulballaden, zappaeskes WahWah-Gefriemel, monotone Erzählstücke, klasse Sixties-Teenrock und noch mehr: — fast alles, was das Herz begehrt. Das können Huah! aus Hamburg. Und sie können tolle Texte wie: »Ich weiß, das Leben ist nicht so schön/ Ich hab Probleme mit meiner Frisur, leihst Du mir Deinen Fön?« oder »Ich werd' nie mehr Dein Auto sein/ Ich bin Dein Telephon — lange schon«. Endlich mal jemand, der den wahren Problemen Ausdruck verleiht. Huah! sind die Speerspitze einer kleinen, aber ausgesucht feinen Ansammlung deutschsprachiger Bands, die vor allem vom Label »L'Age d'Or« veröffentlicht werden. Das ist noch kein Revival der NdW, aber ein Anfang. Und vor allem sind Huah! — man traut es sich fast nicht zu sagen — schlau. Kein Dummbatzenhumor, keine verlogene Gefühligkeit wie bei den Niedeckens und Grönemeyers dieser Republik, aber trotzdem Musik mit Herz. Das Beste, was Deutschland dieses Jahr passiert ist.
Am 25.9. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Neben den manchmal arg bemühten Lokalmatadoren Goo Goo Muck werden die bisher völlig unbekannten Los Deletantos einen ihrer ersten Auftritte bestreiten. Die spielen mal hysterischen Polit-Punk mit deutschen Texten, dann die stimmungsvolle Ballade mit dramatischer Steigerung zum Refrain hin oder den klassischen Normalo-Rock im 4/4-Takt mit Quengel-Gitarre. Schwer einzuschätzen, ob Los Deletantos wirklich schlecht sind oder nur ein — auch technisch — schlechtes Tape aufgenommen haben, auf jeden Fall stört beim Englischen der dramatische Akzent des Sängers und die Coverversion von »California Dreaming« offenbart gewisse Schülerband-Qualitäten.
Am 25.9. um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7
Allgemein werden Suckspeed als eine der besten deutschen Hardcore-Bands gehandelt. Sie seien die, die vielleicht am besten den Crossover zwischen Punk und Metal verkraftet haben. Auf ihrer letzten Platte »End of Depression« klingen sie allerdings manchmal etwas archaisch, fast hausbacken, ohne den nötigen Drive. Was natürlich auch wieder etwas zutiefst Sympathisches hat, weil sich Suckspeed nicht am Geschwindigkeitswettlauf beteiligen, sondern eher den klassischen Hardrock wiederentdeckt haben. Vieles klingt nach AC/DC, einiges nach Led Zeppelin, aber durchaus mit der nur Suckspeed eigenen Sperrigkeit. Vor allem die Stimme von Nickelbrillenträger Michael Bothe prägt sich ein, weil sie sich den im Genre verbreiteten Klischees versperrt und statt dessen so kräftig und deutlich deklamiert, daß das Gesungene — ohne daß man etwas verstehen müßte — eine eindringliche Wichtigkeit erhält, die die Texte nicht immer wert sind. Suckspeed sind sehr deutsch, so deutsch, wie Hardcore mit englischen Texten sein kann — und das ist ausnahmsweise mal positiv gemeint.
Mit Pearl Harbour am 26.9. um 20 Uhr (angeblich pünktlich) im Trash, Oranienstraße 40-41, Kreuzberg
Vor ungefähr sechs Jahren, als der Remix der größten Sweet-Hits noch kein Diskothekenrenner war, spielten The Sweet (oder jedenfalls wer damals gerade unter dem Namen firmierte) bei Joe am Kudamm vor einer ungewöhnlichen Publikumsmischung aus Punks, Alt-Fans und Bier-um-30-Joes. Damals schob noch Brian Conolly seinen Bierbauch über die Bühne, aber der hat sich in den erfolgreichen Jahren zuviel Chemikalien und Flüssigkeiten angetan. Das Erbe zu vergolden versucht im Moment eigentlich nur der damalige Gitarrist Andy Scott. Er hat vor allem Abgänge aus der Michael Schenker Group zu Andy Scott's Sweet zusammengebastelt und spielt nicht nur auf Dorffesten die alten Hits runter, sondern hat auch die Stirn, unter dem Namen ganze neue Platten aufzunehmen. Die letzte heißt »A« und ist todsterbenslangweiliger 70er Dummrock, mit End-80er-Technik aufgenommen. Nicht einmal ein Hauch der Glam-Glitter-Genialität aus den beginnenden 70ern ist geblieben, aber das war ja auch nicht anders zu erwarten, denn The Sweet waren damals nichts anderes als die Kleiderstangen für die Songschreiber Chinn/Chapman und den Produzenten Wainman, und der Großteil des Materials wurde eh von Studiomusikern eingespielt.
Am 26.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt
Solche Typen gibt's in der Kulturlandschaft der BRD eigentlich nicht. Mit Jörg Fauser ist einer der letzten vor wenigen Jahren gestorben, Tom Mega lebt noch. Der Ex-Fixer, Ex-Knacki, ehemalige Sänger von Me And The Heat und jetzige Chansoneur hat immer so gelebt, daß die Kunst zur Therapie wird. Vor allem Authenzität (wenn das nicht ein so grauenvoller Wert wäre) zeichnet ihn aus und die Tatsache, daß er wahrscheinlich der einzige in Deutschland ist, der etwa nicht nur den französischen Chanson abkupfert, sondern eine eigenständige deutsche Version davon entwickelt hat.
Am 27.9. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
Wer ist denn diese Kastratenstimme? Michy Reincke? Ach, mal bei Felix De Luxe gewesen, damals schon schrecklich, heute noch schrecklicher, auch wenn das vielleicht nicht möglich erscheint. Warum bekommt so jemand einen Plattenvertrag von BMG Ariola und darf dann Zeilen auf CD pressen lassen wie diese: »Ich mag nicht mehr schlafen, ich kann nicht mehr stehen/ Seit ich dich sah, kann ich nicht mehr klar sehen/ Ein Liebesbazillus hat mein Herz infiziert & ich hab alles probiert/ Doch selbst der Apotheker sagt, er könnte nichts für mich tun«. In acht von zwölf Songs auf »Rintintin« taucht das Wort »Herz« auf, und in allen geht es um Liebe. Daß Popmusik nicht so dumm sein muß, wissen wir. Bleibt nur die Frage, darf Popmusik so dumm sein? Wir wollen gar nicht wissen, was andere empfehlen, wir empfehlen Berufsverbot für Herrn Reincke.
Am 27.9. um 20 Uhr im Huxley's Jr.
Jahrelang wurden sie immer nur als die kleinen Geschwister der Pixies gehandelt, und das nicht zu Unrecht, nicht nur weil sie ebenfalls aus Boston stammten. Die Throwing Muses sind immer noch zweite Klasse, obwohl man von den Pixies schon länger nichts Weltbewegendes mehr gehört hat. Das Hauptproblem der Throwing Muses neben internen Streitereien, die schließlich zum Rauswurf/Ausstieg von Tanya Donelly führten, war immer, daß ihre Melodien nie so recht zündeten, weil die beiden singenden Frauen zwar recht hoch, aber auch sehr unstrukturiert umeinanderherum jodelten. Man konnte es schlicht auch nervtötend nennen. Inzwischen zum Duo mit wechselnder Verstärkung geschrumpft, sind die Throwing Muses zwar eine ganze Ecke rockiger geworden und bei weitem nicht mehr so monoton, aber immer noch eher englisch nölig als amerikanisch kaugummibreitkauend. Irgendwie erinnern sie jetzt an die frühen Siouxie and the Banshees, diese gepflegte schwarze Melancholie, die aber nie wirklich ernst gemeint ist, die ewig wiederholten immer gleichen, zähen Gitarrenschleifen und ein Rhythmus wie eingeschlafene Füße.
Am 29.9. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Wer diese Woche einfach nur mal entspannt tanzen möchte, ist bei Galliano bestens bedient, auch wenn der propagierte Jazz-HipHop eigentlich nur die Fortführung des längst verstaubten Cocktail-Jazz' von Sade u.a. aus den 80ern mit anderen Mitteln ist. Galliano sind zwar nur das große neue Ding vom letzten Jahr, aber deshalb nicht schlechter geworden.
Am 30.9. um 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
Die einen nennen es »melodischen Lärm«, für andere sind Jesus Lizard auf dem Weg, die »größte Band des Universums« zu werden. Tatsächlich sind Jesus Lizard so einmalig, daß die übliche Klassifizierung und Schubladisierung völlig unmöglich ist. Da dängelt und klimpert, gitarrt und rumpumpelt es, singt es aus einem Mülleimer (wirklich im Studio so aufgenommen) und hört sich allzuoft einfach beschissen aufgenommen an.
The Jesus LizardAbb.: Veranstalter
Jesus Lizard brechen alle Klischees von Rockmusik auf, weil sie sich erst gar nicht auf sie einlassen, dabei sind sie schon ein wenig konventioneller als die legendären Scratch Acid aus Texas, aus denen sie hervorgingen. Das bedeutet aber nur, daß man ab und an die Struktur eines Songs erkennen kann. Ansonsten überstürzen sich die Eindrücke und Zitate, ohne jemals eine geschlossene Einheit zu bilden. Die Texte sind ähnlich durchgedreht, vorzugsweise durchsetzt mit den bekannten Four-Letter-Words, sollen aber auch keine allgemeingültige Aussage oder gar eine Botschaft haben, wie Sänger David Yow betont: »Einige meiner Texte sind Blödsinn.« Über diesen David Yow hat ihr Dauerproduzent Steve Albini das Gerücht in die Welt gesetzt, der Sänger wäre psychisch erkrankt und Dauergast in der Psychiatrie. Die Essenz des Werbegags sollte wohl sein: Nur Kranke machen solch kranke Musik. So krank, daß sie sogar Trios »Sunday You need Love« covern.
Am 30.9. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler
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