DR. CORNELIA KULAWIK, PFARRERIN AN DER GEDÄCHTNISKIRCHE : Glaube muss etwas sein, das Freiheit schafft
VON ESTHER SLEVOGT
Das Wahrzeichen des Kurfürstendamms, die Gedächtniskirche, ist momentan schwer zu finden. Die Turmruine wird saniert und ist hinter einer weißen Kunststoffverkleidung verschwunden. Und so irren besonders Touristen immer wieder suchend in den Konsumwüsten umher und können die Kirche nicht finden, deren markante Silhouette normalerweise die Straße unübersehbar überragt. „Ich sage immer, so sehen einmal alle Städte aus, wenn die Kirchen aus ihnen verschwunden sein werden“, kommentiert Cornelia Kulawik diese Irritation, mit der sie fast täglich konfrontiert ist, und wirft lachend das lange braune Haar in den Nacken. Seit 2004 ist die promovierte Theologin Pfarrerin an der Gedächtniskirche.
In der Gedenkhalle, die sich in den Resten des 1895 eingeweihten und 1943 von Bomben zerstörten wilhelminischen Baus befindet, glänzen die erhaltenen neobyzantinischen Mosaike ungebrochen, die den Weg Wilhelms I. vom preußischen Kronprinzen zum deutschen Kaiser als Via Dolorosa schildern. Der immer wieder in schlimmen Kriegen sich entladenden deutsch-französischen Feindschaft kommt in dieser heilsgeschichtlichen Darstellung eine geradezu gottgewollte Rolle zu.
Kirchliche Irrwege
Für Cornelia Kuwalik ein besonders bedrückendes Beispiel für die Irrwege der Kirche, wenn sie zu stark ins Fahrwasser staatlicher Interessen geriet. So tritt sie leidenschaftlich für eine vollkommene Unabhängigkeit der Kirche ein. Für die Kirche als allen offenen Ort, dessen Freiheit es gegen die reglementierenden Interessen zu behaupten gilt.
Cornelia Kulawik weiß, wovon sie spricht. Sie ist in der Innenstadt von Leipzig aufgewachsen und hat als rebellierende Jugendliche in den achtziger Jahren für sich die Kirche als Schutzraum vor dem totalitären Zugriff des Staates entdeckt. „In der DDR war die Kirche ein Ort der Freiheit“, sagt sie. Als sie sich in der 9. Klasse weigerte, am paramilitärischen Zivilverteidigungsunterricht ihres Leipziger Gymnasiums teilzunehmen, wurde Cornelia Kulawik zur Strafe von der Möglichkeit ausgeschlossen, Abitur zu machen. So wechselte sie nach der Mittleren Reife an ein theologisches Proseminar in der Nähe von Dresden, eine rein kirchliche Institution, wo eine Abiturprüfung abgelegt werden konnte. Die so aber nicht heißen durfte und vom Staat DDR auch nicht anerkannt war, weshalb dieser Abschluss einzig ein Theologiestudium an einer kirchlichen Hochschule ermöglichte.
So begann Cornelia Kulawik 1988 ihr Theologiestudium am Theologischen Seminar Leipzig. In jener Stadt, in der im Jahr darauf die berühmten Montagsmärsche das Ende der DDR einzuläuten begannen. Das theologische Proseminar und später das theologische Seminar, das waren Orte mitten in der DDR, wo sich die Frei- und Querdenker trafen. Orte, die wie unberührt vom herrschenden Parteidogmatismus waren und wo auch Dozenten und Professoren sagten, was sie dachten, erzählt Cornelia Kulawik immer noch bewegt von dieser Erfahrung, von der nun ihre Arbeit im einstigen Wahrzeichen Westberlins getragen ist. Besonders im Westen werde Kirche ja meist als Einengung wahrgenommen. Für Cornelia Kulawik jedoch muss Glaube etwas sein, das Freiheit schafft.
Diese Überzeugung an einem prominenten Ort wie der Gedächtniskirche zu vertreten betrachtet sie als Auftrag und Herausforderung zugleich. Auch freut sie sich, dass sie, die in der DDR geboren wurde, sich nun für die Belange des so ins Hintertreffen geratenen Westteils der Stadt starkmachen kann. Egon Eiermanns 1961 eingeweihten Kirchenneubau betrachtet sie seiner offenen Form wegen als geradezu ideal. Und auch die Lage der Kirche, mitten im Großstadttreiben rund um den Kurfürstendamm. Wer den vom irisierenden blauen Licht der Glasfenster des französischen Künstlers Gabriel Loire dominierten Raum betritt, betritt auch einen Raum, der zumindest für die Dauer des Aufenthalts Schutz vor dem tosenden Lärm der Stadt und ihren Konsumzwängen bietet.