DÖNER UND MUSCHELN : Knigge für Schwierige
Bei Regen nehme ich die U-Bahn. Das ist mir lieber. Sonst würden meine Hose, meine Haare, alles unvorteilhaft an mir kleben. Gleichsam in Anpassung an die ästhetischen Bedürfnisse meiner Umwelt nehme ich die U-Bahn. Es ist aber so, dass mich die U-Bahn zuvörderst in einen schwierigen Konflikt, dann erst zum Zielbahnhof bringt.
Zum Beispiel: Ich sitze da. Alles klar. Dann: Öffnet sich die Tür, o-oh, ich sehe schon. Später rieche ich. Ich lasse den dicken Dönermann im Folgenden nicht aus den Augen. Ich sollte besser nicht hinsehn, aber dann tue ich es doch.
Das Ekelhafte jagt mir einen wohligen Schauer nach dem andern über den Rücken, und das macht die Gefühlslage en gros eher angenehm. Ich sehe, wie die Soße den Bart umspielt, die Zwiebel das gewölbte Hemd hinunterpurzelt. Durch den Wagen weht ein knoblauchschweres Lüftchen. Plötzlich ist es unangenehm. Und nicht nur mir! Eine Dame atmet schwer, eine andre sinkt zu Boden.
Die Frage ist: Aussteigen oder sitzenbleiben? Den Dönermann auf sein Fehlverhalten hinweisen? Ich weiß nicht recht und halte die Luft an, bis ich aussteigen muss.
Bert hat Muscheln gekocht. Maren und Tobias kommen gerade aus London, wo man sittlich sich betrage und selten mit den Fingern esse. Dies nämlich, darin stimmen sie überein, fänden sie schlechterdings unerträglich. Bert bricht das Brot und portioniert die Meeresfrucht. Das köstliche Fleisch ist im Panzer verborgen.
Ich bitte um Besteck. Zerteile die Biester mit dem Messer, die Gabel gebärdet sich wild und sinnlos, plötzlich flieht mich das tote Getier. Unverwandt starrt Bert mich an. Seine Augen folgen meinen Händen, bleiben an meinen besudelten Lippen kleben, taxieren die Flecken auf meiner Bluse. Maren stöhnt, Tobias sinkt zu Boden. Draußen regnet es.
ARIANE BREYER