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DOKUMENTATIONAngeklagt: Die Bundesanwaltschaft

■ Wir dokumentieren in Auszügen eine Erklärung der „Linken Liste Uni Frankfurt“ zu den Haftbedingungen des unter Mordverdacht inhaftierten Startbahngegners Andreas Eichler und den Ermittlungsmethoden der Bundesanwaltschaft / „Eichler wurde zum Selbstmordversuch getrieben“

Wir klagen an! In der Nacht zum Freitag hat Andreas Eichler in der JVA Preungesheim einen Suizid-Versuch unternommen. Andreas Eichler sitzt wegen angeblichen Mordes an den beiden Polizisten in der Nacht vom 2.11. in Untersuchungshaft. Die sogenannten Beweise der Bundesanwaltschaft (BAW) sind dürftig und widersprüchlich. So gibt es zum Beispiel keine Beweise gegen die Aussage von Andreas, daß ihm die angeblich in seinem Rucksack gefundene Tatwaffe zugesteckt wurde. Mehr noch, es gibt keine Belege, die die Mutmaßung stützen, daß er der Täter oder auch nur Tatbeteiligter sein könnte.

Daß es der BAW gar nicht so sehr um die Aufklärung der zwei Morde geht, ist in den Ermittlungen, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Vorladungen und Beschuldigungen gegen etliche Mitglieder der Anti- Startbahn-Bewegung der letzten Wochen nur allzu offensichtlich geworden. Der Tatvorwurf „Tötung zum Nachteil zweier Polizeibeamter“ dient zur Einschüchterung und als Freibrief polizeilichen Handelns gegen die sogenannten KJleingruppen. Ermittelt wird hauptsächlich, auch bei Andreas Eichler, wegen verschiedener Brandanschläge im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Startbahn, Entwendung einer Wahlurne und Umsägen von Strommasten. Die Umkehr der Beweislast, das heißt, daß der/die Angeklagte die Unschuld beweisen muß, während der Schuldvorwurf auf einer kaum nachvollziehbaren, hanebüchend spekulativen Ebene ausreichend ist, ist erprobte rechtsstaatliche Taktik im Umgang mit politischen Prozessen. In Abstimmung mit einer in den Medien breit angelegten Vorverurteilung und den Haftbedingungen (Isolationshaft) wird der/die Gefangene zur Geisel, an der die exemplarische Bestrafung der Bewegung, des Umfeldes des/der Gefangenen vollzogen wird. Hausdurchsuchungen im großen Stil, willkürliche Festnahmen, das wahllose Herausgreifen einzelner wissen ja, daß du mit den Morden nichts zu tun hast, aber wir drücken dir x Jahre wegen Beteiligung oder Unterstützung bei diesem oder jenem Anschlag rein.“ Diese Drohung bekamen all diejenigen, die von der Polizei dem Umfeld einer der militanten Kleingruppen zugeordnet wurden, bei ihrer Vernehmung zu hören. Anschließend wurden ihnen Bildmappen mit circa 40 Personen vorgelegt. Diese Bildmappen waren bei den Vernehmungen unterschiedlich bestückt, insgesamt sind mindestens 80 Personen in ihnen erfaßt. Gekoppelt an die Aufforderung „doch nur zu bestätigen, was wir eh schon wissen“, und dem Ver sprechen, daß schon ein paar kleine Aussagen mit Haftverschonung belohnt würden, führte diese Drohung zu einer unglaublichen Aussageflut. Nicht zu vergessen die üblichen Vernehmungstaktiken wie: „Dein Freund hat gesagt, du hättest...“ Es sind schätzungsweise 200 Ermittlungsverfahren im Gange. Derzeit läuft wieder eine Vorladungswelle (polizeilich und staatsanwaltschaftlich), von der circa 150 Personen im gesamten Rhein-Main-Gebiet betroffen sind. Die ersten konkreten Tatvorwürfe mit namentlicher Aufführung der angeblich Beteiligten liegt vor (durchweg 129a-Verfahren). Die BAW führt ihr gesamtes, in langjähriger menschenzerstörender Praxis erprobtes und als Isolationsfolter auch von Amnesty International geächtetes Repressionsinstrumentarium auf: 23 Stunden allein in der Zelle. Leere Nachbarzellen. Eine Stunde Einzelhofgang (bewacht). Alle 14Tage eine halbe Stunde Besuchszeit. Mit Trennscheibe. Postzensur. Andreas bekam lange Zeit die Zeitungsabos nicht ausgehändigt. Seine Freundin erhält als Mitbeschuldigte keine Besuchserlaubnis. Für sein Kind (zwei Monate alt) muß ein extra Besuchsantrag gestellt werden. Und wenn dieser dann hin und wieder genehmigt wurde, durfte Andreas seinen Gefühlen freien Lauf lassen – durch die Trennscheibe!

Einen Menschen durch totale Isolation von anderen Menschen, durch gezielten optischen und akkustischen Reizentzug (graue Zelle, keine Bilder, Milchglasscheiben, Sichtblenden vor dem Fenster, leere Nachbarzellen) und der Zerstörung eines natürlichen Tagesrhythmus (kein regelmäßiger Schlaf durch Dauerlicht und permanente nächtliche Zellenkontrollen) psychisch unter Druck zu setzen, bis er/sie Selbstmord begeht, das ist Mord!

Wir klagen die zuständigen rechtsstaatlichen Organe (BAW, Knastleitung) an, Andreas Eichler zum Selbstmordversuch getrieben zu haben! Sie haben einen Zustand geschaffen, der den Selbsttötungsversuch von Andreas Eichler und ungezählten anderen Gefangenen in den Knästen dieser Republik als kalkuliertes Risiko in Kauf nimmt. Die Stellungnahme der BAW, die Andreas aufgrund des Suizidversuchs eine realistische Einschätzung seiner Lage attestiert, offenbart deren ganzen menschenverachtenden Zynismus.

Wir fordern Freiheit für Andreas Eichler!

Wir fordern die Freilassung aller im Rahmen des 2.11. Inhaftierten und die Einstellung aller Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Startbahn! Wir fordern die Abschaffung aller menschenvernichtenden Haftbedingungen!

Linke Liste Uni Frankfurt

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