DOKUMENTATION: „Reichweiten-Derwische“
■ Gerd Bacher, Generalintendant des ORF, über das „duale System“
Obwohl ich ein überzeugter Marktwirtschaftler bin, halte ich die Bezeichnung „duales Rundfunksystem“, die man in Deutschland so gern hört, schlicht für einen Etikettenschwindel. Selbstverständlich haben beide Systeme ihre Lebensberechtigung, aber mit Ausnahme der Technik fast nichts miteinander zu tun.
Öffentlicher Rundfunk, public broadcasting, hat sich als Kulturgut zu verstehen, sonst ist es ein Mißverständnis der Macher. Kommerzieller Rundfunk ist reines Denken in Ware, [...] ist Show-busineß, ist das Bemühen, mit dem geringstmöglihen Programmeinsatz den größtmöglichen Gewinn zu machen. Das ist eine schöne Sache, hat aber mit unserem Geschäft, mit public broadcasting, nichts gemein. Ich betone diesen Unterschied deshalb so, weil ich es für blödsinnig finde, wenn diese zwei völlig unterschiedlichen Bewußtseinswelten immer gegeneinander ausgespielt werden. Und zwar meistens von den Zeitungen. Da wird uns dann vorgehalten, RTLplus hat mit dieser oder jener Sendung um so viel größere Reichweiten als wir. Na und? Da ist wohl ausschlaggebend, mit welchem Programm man die Reichweite erzielt. [...] Ich kannte und kenne natürlich die Schwächen von public broadcasting, diese Gefahren der Größe, des Einrostens, der Selbstgefälligkeit und sagte mir daher, jetzt kommen die Anstöße, die die ganze Branche braucht. Das war wohl der Hauptirrtum, daß ich an eine Branche dachte. [...] Die kommerziellen Programme sind erstens die größte Wiederaufbereitungsanlage für Inhalte und Mitwirkende und zweitens die unsinnigste Verteuerung des Produkts, ohne dessen feststellbare Verbesserung. Ich erinnere mich an kein zweites Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte, daß ein Produkt durch Wettbewerb schlechter geworden wäre. Ich habe überhaupt nichts gegen Verteuerung des Produkts, wenn zum Beispiel aus dem Volkswagen ein Rolls-Royce wird. Dann kann man das Mehrfache dafür bezahlen. Aber wenn ich für die Bundesliga, für Gottschalk oder für Dall das x-fache bezahlen muß, ohne daß die Leistung bessser geworden wäre, dann fehlt mir das Verständnis.
[...] Die Halbseidenzeit, die da ausgebrochen ist, die kann man ja auch auf Medienkongressen geradezu typologisch greifen. Früher trafen sich dort Journalisten, Regisseure, Künstler, jetzt sind es vorwiegend zynische Busineß-Men, Reichweiten-Derwische, die mit ihrer verbalen Kraftmeierei ein Psychogramm der Branche liefern. Ich bin wirklich der Meinung, daß die Informationsgesellschaft der Zukunft eine Erneuerung der public broadcaster braucht, denn von den commercial broadcasters ist in Richtung öffentlicher Nutzen wenig zu erwarten.
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