piwik no script img

DOKUMENTATIONDer Demokratie beraubt

■ Der Afrikanist Jean-Francois Bayart über die Ursachen von Krieg und Elend auf dem schwarzen Kontinent und über unser falsches Bild von diesem

Nach einer Welle der Demokratisierung scheint eine Welle autoritärer Restauration ganz Afrika zu erfassen. Jean-Francois Bayart, Afrikanist beim „Internationalen Studien- und Forschungszentrum“ (CERI) in Paris und Herausgeber der Reihe „Les Afriques“, spricht vom „Krieg als Produktionsweise des Politischen“ und warnt vor der analytischen Verkürzung des Krieges auf seine tribale Dimension.

Frage: Hungersnot am Horn Afrikas, schreckliche Dürre im südlichen Afrika, Somalia ausgeblutet, zwei Jahre Schlächtereien in Liberia. Ist der Tod das Schicksal des schwarzen Kontinents?

Jean-Francois Bayart: Ich stelle fest, daß die großen Schlächtereien des 20. Jahrhunderts in Europa stattfanden, ich meine die beiden Weltkriege, oder im asiatischen Raum, der chinesisch-japanische Krieg, der Koreakrieg, die maoistischen Repressionskampagnen. In Afrika tötet der Krieg vergleichsweise wenige. Aber wir neigen dazu, ihn im Rahmen unserer phantasmagorischen Vorstellung von Afrika als einem Kontinent von Wilden, der durch das zivilisatorische Werk des Kolonisators für eine Zeitlang befriedet wurde, überzuinterpretieren. Ich befürchte sogar, daß wir eine gewisse Befriedigung empfinden, wenn wir die Afrikaner sterben sehen. Sie bestätigen dann unser Bild.

Aber die Kriege und Massaker gibt es doch...

Ja, und sie werden sich zweifellos auf regionaler Ebene als Produktionsweise des Politischen verallgemeinern. Das Horn Afrikas ist ja schon seit 20 Jahren auf diese Weise organisiert: Bürgerkriege im Sudan, in Äthiopien und, neueren Datums, in Somalia und Dschibuti, nationaler Befreiungskrieg in Eritrea. Das Afrika der großen Seen mit seinen Erschütterungen in Ruanda und Burundi ist auf dem Weg in ein solches Szenario. Und dann dieser Krieg in Liberia, der sich auf Sierra Leone und Guinea ausgeweitet hat und nun schon fast alle Staaten der Region, von Lagos bis Dakar, betrifft...

Es wird oft gesagt, die Kriege in Afrika seien im wesentlichen „tribaler“ Natur.

Ich würde eher sagen, sie sind „unternehmerischer“ Natur. Die Rolle politisch-militärischer Unternehmer wie Hissène Habré, Goukouni, Weddeye oder Idriss Déby im Tschad oder wie Charles Taylor und Prince Johnson in Liberia ist bestimmender als diejenige von „Ethnien“, die sich nur schwerlich definieren lassen. Gewiß, einige afrikanische Kriege haben eine klare ethnische Dimension, dies ist in Ruanda und Burundi der Fall oder im Gebiet Niger-Mali, wo es um die Tuaregs geht. Aber nun wird alles mögliche in diese Schublade mit der Aufschrift „ethnische Zugehörigkeit“ gesteckt. Doch das ethnische Bewußtsein in der südafrikanischen Industrie- und Bergbaugesellschaft hat wenig mit dem Clan-Bewußtsein in Somalia zu tun und auch wenig mit dem Antagonismus in Mauretanien, Mali und dem Tschad zwischen islamischen Arabern oder islamischen Berbern auf der einen Seite und Schwarzafrikanern oder schwarzen Moslems auf der andern. Jedes ethnische Bewußtsein hat seine Geschichte und seinen präzisen sozialen Kontext: Im 19.Jahrhundert war man nicht so Tutsi oder Hutu, wie man es heute ist. Überdies muß man verstehen, daß die Forderung nach ethnischer Selbstbestimmung im allgemeinen nicht die Ablehnung des Staates ist, sondern eine „Art des Zugangs“ zu diesem, eine Art seiner Aufteilung. Für die Erklärung der Banalisierung des Krieges in Afrika sind andere Phänomene wichtiger als die ethnische Zugehörigkeit.

Welche?

Die Verbreitung moderner Waffen, die eine neue und zweifellos irreversible Lage schafft. Der Krieg erlaubt es der Jugend, die ja 50 bis 60 Prozent der afrikanischen Bevölkerung ausmacht, im Namen der Revolution, der nationalen Befreiung, der Gerechtigkeit usw. auf legitime Art und Weise auf bewaffnetem Weg an die Ressourcen des Staates zu kommen. Der Krieg hat eine soziale Basis: die Jugend. Er liefert ihr eine Ideologie, die der Kampfestugend und der Welt des Unsichtbaren, der Zauberei. Die heldenhaften Taten, der Erfolg der Waffen und Zaubermittel erlaubte in den alten afrikanischen Gesellschaften schon den „Kleinen“, den „Kindern“, „aufzustehen“. Dies erklärt uns das Verhalten der Jungen von Monrovia und Mogadischu mit ihren geschulterten Kalaschnikows und Perücken.

Gleichzeitig ist der Krieg eine wirtschaftliche Ressource. In Liberia geht es um den Panzerschrank, der die Benutzungsgebühren einer der größten Billigflagge-Handelsflotten, die Früchte der Drogengeldwäsche und die Einkünfte des Eisen- und Diamantenexports enthält. Der Kampf zwischen Präsident Samuel Doe und dem Rebellen Charles Taylor im Jahr 1990 war kein „ethnischer“, sondern ein mafiöser. Heute kann Taylor dank der Exporte aus den Ländern, die er kontrolliert, und dank der Kommissionen, die ihm gewisse westliche Firmen, namentlich französische, überweisen, eine Soldateska von Epheben unterhalten.

Ist Liberia denn nicht alles in allem doch ein Sonderfall?

Nein. Nehmen Sie zum Beispiel den Tschad: Der Krieg ist das einzige wirtschaftliche Mittel für die Minderheit und Analphabeten der Zaghawa, die an der Macht sind, die Zolleinnahmen des Landes und die internationale Hilfe zu kontrollieren.

Ist es mit der Demokratie in Afrika vorbei?

Der Übergang zur Demokratie drückt in Afrika, wie anderswo auch, ein Kräfteverhältnis aus, und der Westen übt sich dabei in schüchterner Jungfräulichkeit, um ja nicht dieses Kräfteverhältnis zugunsten der Demokratie zu beeinflussen. Afrika ist nicht von Natur aus oder aus kulturellen Gründen undemokratisch. Es wurde der Demokratie durch genau identifizierbare Akteure beraubt, die 30 Jahre lang die wirtschaftliche, politische und militärische Unterstützung Frankreichs, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion hatten.

Afrika ist also das ewige unschuldige Opfer?

Nein, die internen Faktoren scheinen mir sogar wichtiger als die äußeren Einflüsse. Die autoritären Regime in Afrika zwischen 1960 und 1990 waren ja nicht einfach vom Neokolonialismus aufgezwungene Marionetten, wie oft behauptet wurde. Aber sie sind auch nicht der unvermeidliche politische Ausdruck eines typisch afrikanischen Wesens.

Während der 80er Jahre haben die Wirtschaftskrise und die Strukturanpassungsprogramme die Ressourcen vermindert, die den Einparteienregimen die Finanzierung der politischen Kooptation ermöglichte. „Der Mund, der ißt, spricht nicht“, sagt man in Westafrika. Und so hat also der Mund, der immer weniger aß, 1989/90 zu sprechen begonnen, in Gabun, Elfenbeinküste, Zaire, Kamerun, Sambia... und wie jeder weiß, hat ein hungriger Bauch keine Ohren! Es kam zu einer immer stärkeren Protestbewegung.

Eine Protestbewegung, die heute offenbar auf der Stelle tritt.

Man darf die Errungenschaften dieser Periode nicht geringschätzen— angefangen beim Aufblühen einer freien Presse. Aber es überrascht wirklich, wie verbreitet die autoritäre Restauration ist. Auf der einen Seite bemühen sich die Inhaber der Präsidententitel, die Kontrolle über die Staatseinkünfte und die Geheimdienste aufrechtzuerhalten: Zuckerbrot und Peitsche, um die Zügel der Macht wieder in ihre Hände zu bekommen. Auf der anderen Seite beschäftigt sich die Opposition oft mehr mit internen Streitigkeiten als damit, eine soziale Basis zu mobilisieren, ein Regierungsprogramm auszuarbeiten und zu präzisieren, was die Demokratie den Bauern, den Frauen, der Jugend zu sagen hat.

Unter diesen Bedingungen läuft der demokratische Diskurs, den nun jeder gewissenhaft stottert, Gefahr, die letzte Einkunftsquelle zu werden, das neue „Pidgin“, in dem einheimische Könige und westliche Heilsbringer sich verständigen. Das Vielparteiensystem wäre dann nur das Feigenblatt, hinter dem sich eine galoppierende Kriminalisierung des Politischen versteckt. Mehr als alles andere wird diese Rückkehr zu autoritären Regimen, die im wesentlichen nur die Staatskasse plündern, dazu beitragen, daß Afrika in Krieg und Elend versinkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen