DIETER BAUMANN über LAUFEN : Wer wird denn überholen!
Krankenkassen wollen mit Laufaktionen ihre Mitglieder fit machen. Und locken mit Bonuspunkten vor allem Laufeinsteiger. Was viele von ihnen dabei vergessen: Nur langsames Laufen macht fit
Die Weltgesundheitsorganisation warnt nicht nur vor den Folgen falscher Ernährung, sondern vor zu wenig Bewegung. Ihr Appell richtet sich vor allem an Menschen in Industrienationen, die insbesondere unter Bewegungsmangel leiden. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass sich auch hier in Deutschland die Krankenkassen der Gesundheitsprävention immer stärker annehmen und mit verschiedenen Aktionen ihre Mitglieder dazu anregen wollen, ihre körperliche Fitness zu verbessern. Dass es sich dabei nur um einen gesellschaftlichen Trend handelt, der in wenigen Jahren wieder verschwunden ist, ist unwahrscheinlich, denn eines ist sicher: Vorbeugen ist billiger als teure Behandlungsmethoden, die Einstellung von Menschen zu ändern effektiver als eine dreimal nachgebesserte Gesundheitsreform.
Krankenkassen initiieren beispielsweise Lauftreffs, bei denen die Teilnehmer Bonuspunkte sammeln können. Noch wirken sich diese nicht auf die Krankenkassenbeiträge aus – was vielleicht noch kommen kann – aber regelmäßigen Teilnehmern winken kleine Sponsorengeschenke. Ob es an der Belohnung oder am Event selbst liegt, spielt keine Rolle, diese Laufaktionen sind sehr beliebt. Das Thema Laufen ist populär. Und nun geht es sogar selbst auf Tournee. Unter dem Titel „KKH Herzoffensive“ veranstaltet eine Krankenkasse 16 Laufaktionen in 16 verschiedenen Städten: gesundheitsbewusstes Laufen von Kiel bis Freiburg, von Saarbrücken bis Cottbus. Pro Veranstaltung nehmen bis zu sechshundert Läuferinnen und Läufer teil.
Als aktiver Schirmherr dieser Aktion bin ich über den Zuspruch doch überrascht, denn mit einem Wettkampf hat sie zunächst nichts zu tun. Die Läufe sollen lediglich die Menschen motivieren, sich zu bewegen, und sie für ihre Gesundheit besser sensibilisieren – die Bedeutung der ersten Laufschritte, sowohl psychisch als auch körperlich ebenso wie für das familiäre Umfeld, ist dabei nicht zu unterschätzen.
Gerade aus diesem Grund ist es für mich immer wieder interessant, mit Einsteigern zu laufen, wie zuletzt bei einem KKH-Lauf in Kassel. Allerdings handelt es sich bei den meisten nicht um Einsteiger im eigentlichen Sinn. Ich könnte sie auch als „Immer-wieder-Aussteiger“ bezeichnen, die dann, mit großer Euphorie, wieder zu Laufeinsteigern werden. Deshalb nenne ich sie „Aus-und-immer-wieder-Einsteiger“, und diese Gruppe ist sehr groß. Ihr Verhalten ähnelt dem eines Pendels, das unaufhörlich zwischen Bewegungswille und -unlust, und damit zwischen Gesundheit und Übergewicht hin und her schwingt. Bei großenLaufaktionen schwingt das Pendel meist in Richtung Bewegungswille.
Auf meine Frage nach der Kondition der Aus-und-immer-wieder-Einsteiger in Kassel geben die meisten an, „ohne Probleme“ eine Stunde laufen zu können. Trotz dieser optimistischen Selbsteinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit machte ich kurz vor dem Startschuss einen fast unglaublichen Vorschlag: „Keiner darf mich überholen“, forderte ich von den Teilnehmern. Mit diesem Satz erntete ich wie immer Gelächter. Sie glauben mir einfach nicht, dass ich langsam laufen kann. Kaum war der Startschuss gefallen, wurde ich von vielen Teilnehmern überholt, obgleich ich grundsätzlich darauf achte, ganz bewusst langsam, ja, sehr langsam loszulaufen.
Was für einen Wettkampf absurd klingen mag, macht bei dieser Laufaktion durchaus Sinn. Gesundheitsbewusstes Laufen ist langsames Laufen. Meine Aus-und immer-wieder-Einsteiger in Kassel waren zu Anfang über das vermeintlich langsame Lauftempo irritiert. Selbstverständlich können viele eine Stunde lang „ohne Probleme“ laufen. Allerdings verausgaben sich die meisten dabei so sehr, dass sie danach eine Woche Pause brauchen und zudem zu der Meinung kommen: Laufen ist total bescheuert und generell eine Schinderei.
Richtiges Laufen hingegen macht einfach nur Spaß – mit einem einzigen Haken: Über die Größe des Spaßfaktors entscheiden die Streckenlänge, das Tempo und ein vernünftiges Maß an Regelmäßigkeit. Die eigene Fitness muss man selbst anpacken und sollte sie nicht den Krankenkassen überlassen.
Fragen zum Spaßfaktor? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH