DIETER BAUMANN über LAUFEN : Wir sind doch nicht blöd
Marathon laufen ist nicht nur gesund, sondern macht schlau – wenn man das Preisgeld in die eigene Bildung steckt
Warum sind die Läufer in Deutschland so schlecht? Mit dieser Frage werde ich häufig konfrontiert. Um keine übergroße Depression zu hinterlassen, flüchte ich mich meist zunächst in einen Witz. Ausschlaggebend ist – wie immer – die Bundesregierung. Sie muss ihre Entwicklungshilfeprojekte um ein Vielfaches erhöhen. Es muss ein fein gespanntes Schienennetz in Afrika entstehen, Busverbindungen müssen wie fein justierte Zahnrädchen ineinander greifen, damit zukünftig auch afrikanischen Kinder keinen Meter zu Fuß zur Schule zurücklegen müssen. Zur Not müssen private Sammeltaxis gebildet und natürlich finanziert werden.
Angesichts der unzähligen talentierten jungen Läufer bleibt mir kein anderer Weg, als den Witz zu machen. Um ehrlich zu sein, wir können gegen die afrikanische Dominanz beim Laufen gar nichts tun. Es sind so unglaublich viele, und sie sind so unglaublich schnell. Dieser Umstand verbreitet denn auch eine düstere Stimmung in der deutschen Langstreckenszene.
Gibt es wirklich keinen Lichtblick? Bilder von Afrika fallen mir dazu ein. Immer wenn ich bei einem Dauerlauf in den Höhenlagen von Kenia die Hauptstraße verlassen hatte, führten mich zahllose Wege und kleine Trampelpfade quer durchs Land. Im Dämmerlicht wirken sie wie roten Linien, wie Zeichnungen. Sie schienen von nirgendwo zu kommen und im Nirgendwo zu enden.
Doch immer wieder kam ich an Hütten oder kleinen Dörfern vorbei, überall auf diesen Pfaden und Wegen traf ich Menschen. Alte, Kinder, Frauen oder Männer, selten war ich ganz allein unterwegs. Ein Willkommensgruß hier, ein Lächeln dort. In der Nähe von Dörfern oder kleineren Städten nahm die Zahl der Benutzer dieser Pfade verständlicherweise zu. Kinder liefen nach Schulschluss auf diesen geheimnisvollen Pfaden mit mir mit, spielend, lachend.
All die Geschichten von international erfolgreichen Läufern, die anscheinend von Kindesbeinen an 10, 15 oder gar 20 Kilometer zu Fuß zur Schule gelaufen sind, sie stimmen. Wo also soll der Lichtblick sein für unsere Läufer? Die Antwort liegt natürlich in Afrika, und es ist eine jener Geschichten, die kaum zu glauben sind.
Chitnokil Chilapong, eine 27-jährige Mutter von vier Kindern, trainierte ein Jahr lang für den Nairobi Marathon. Damit sie sich die Reise nach Nairobi leisten konnte, musste ihr Ehemann ein Schaf und ein Huhn verkaufen. Im Oktober 2004 gewann Chilapong das Rennen in erstklassigen 2:39:09 Stunden und dazu 7.000 Dollar. Die Investition hat sich gelohnt. Das Geld will das Ehepaar nun in die Ausbildung seiner Kinder investieren.
Der älteste Sohn soll in eine Boarding School gehen, die School Fee können sie sich jetzt leisten. Chitapong hat Angebote für weitere Rennen in Europa, und ein Sponsor hat auch schon angeklopft.
Der Lichtblick für unsere Läufer kommt keinesfalls, wie fälschlicher Weise angenommen, durch ein Entwicklungshilfeprojekt der Bundesregierung. Die Landesregierungen haben sich ganz offensichtlich der Langstreckenszene erbarmt: durch Studiengebühren. Freizeitlaufende Frauen und Männer, junge Studierende, die für Preisgelder laufen.
Warum aber gibt es keine Talente mehr? Fehlt der Anreiz? Es laufen doch viel mehr Menschen als früher, wird immer behauptet! Aber, so muss ich entgegnen, nicht nur bei den Topläufern, sondern auch bei den Freizeitläufern geht das Leistungsvermögen zurück. Mit einer Marathonzeit von 2:30 Stunden wäre ein Läufer in Berlin, Hamburg oder Frankfurt unter den besten fünf deutschen Läufern. Vor 20 Jahren war das nicht einmal einen Platz unter den besten 20 wert. Mit einer Zeit von 2:30 Stunden kann man heute sogar einige Rennen für sich entscheiden, Sieggeld mit inbegriffen.
Beim Bodensee-Marathon war einmal für den ersten Platz ein Kleinwagen ausgeschrieben. Wert 9.000 Euro. Ein Jahr Training, dann ein Sieg: Das wäre immerhin die Studiengebühr für 9 Semester in Baden-Württemberg.
Fragen zum Preisgeld? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander SCHICKSAL